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Tactical-Paarhufers
Kapitel 5

Sheep schreckte aus seinem Delirium, als er merkte, dass die Sonne schon hoch am Himmel stand. Er hob den Kopf
Und bereute diese Bewegung im gleichen Moment.
Tiger hatte am gestrigen Abend keine Anstalten gemacht, ihn und Muhi zu fressen. Er hatte nicht einmal probiert. Stattdessen entpuppte er sich als echter Partylöwe. Er nötigte die beiden zu tanzen, mit Mädels zu flirten, die Tigers Ruf folgten wie die Biene der letzten süßen Polle (der Teil hatte Muhi ganz besonders gefallen), und zu trinken. Besonders viel zu trinken.
Es waren auch noch viele andere Member da gewesen. Sheepie erinnerte sich an Fulli und an eine bewegende Wiedersehensbegrüßung. Er erinnerte sich an einen Erzengel, der mehr trank, als er vertrug, aber das traf bis auf den Drachen und Tiger auf praktisch alle zu. Turi hatte nichts getrunken, konnte aber mit seiner schroffen Art einige der Damen begeistern. Ein Umstand, den das Schaf enorm verwirrte.
Tatsächlich waren die meisten Erinnerungen an den gestrigen Abend recht verschwommen. Die anderen wirkten wie Statisten im Hintergrund. Die einzig klaren Bilder, die er derzeit in den Kopf bekam, waren Muhi, der mächtige Tiger und jede menge Spirituosen, die in einem nicht enden wollenden Strom sich vor seinem Tisch sammelten.
Er schmatzte und versuchte, den ekelhaften Geschmack auf seiner Zunge loszuwerden. Was war letzte Nacht in seine Kehle gekrochen und dort verendet? Kein alkoholisches Getränk, kein Grasbüschel konnte so schrecklich schmecken.
Seine Zunge auch nicht.
Er schaute sich um und sehnte sich nach einer Tränke, die er leider nirgendwo erblickte.
Das Schaf hob abermals den Kopf und starrte mit rot geäderten Augen zur Sonne, versuchte herauszufinden, wie spät es war.
Das war ein Fehler. Ein heftiger Stich fuhr durch sein Hirn, und die Übelkeit klammerte sich um seinen Magen wie am Abend zuvor ein gut gelaunter Tiger mit der ständigen Aufforderung, noch einen Schluck zu trinken.
Er glaubte, sterben zu müssen und stand zittrig auf.
Dann befürchtete er, er könnte überleben. Es war erstaunlich, dass sich Übelkeit sogar bis in die Hufspitzen ausbreiten konnte. Jede einzelne Körperzelle schien darauf aus zu sein, ein stilles Örtchen aufzusuchen und sich hingebungsvoll zu erbrechen.
Auf wackeligen Beinen stolperte das Schaf über die Wiese (tatsächlich, Team Laval hatte eine eigene Weide. Sheep erinnerte sich nur nicht mehr, wie er sie gestern gefunden hatte.) und fand die MuhKuh, die leise röchelnd im Gras lag.
Er weckte sie, indem er sie mehrfach anstieß.
„Nein bitte“, wimmerte Muhi. „nicht mehr grinsen.“
„Wach auf, Du Dummer Bulle“, krächzte Sheep. „Du hast nur einen schlechten Traum“.
Muhi blinzelte und erhob sich langsam.
„Oh mann, mein Kopf! Kopernikus hatte recht!“
„Womit? Dass die Welt sich dreht?“
Die Kuh nickte, kniff dann mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen zusammen und stöhnte. „Ich hatte nur keine Ahnung, dass sie es so schnell tut.“
„Vielleicht liegt das auch an den fuffzig Kurzen, die Du gestern zum Absacken getrunken hast, wie Du es nanntest.“
Muhis Schnauze nahm einen grünen Farbton an. „Wie viele?“
„Fünfzig, glaube ich. Zumindest hast Du mit Wodka angefangen, dann entdecktest Du den Ouzo. Zum Schluss meintest Du, musste es noch Tequila sein. Du hattest ständig behauptet, er würde Dich wieder nüchtern machen.“
Die Kuh würgte, rannte einige Meter über die Weide und erbrach sich dann geräuschvoll.
Schaf schaute mit zusammengepressten Lippen zu und versuchte krampfhaft, seinem Mageninhalt nicht dem gleiche Schicksal teil werden zu lassen. Wer vier Mägen hat und sich übergeben muss, hat echte Probleme.
„Muhi geht es nicht gut, oder?“, fragte eine leise, heisere Stimme neben ihm.
Er drehte vorsichtig den Kopf und sah Mushu, der ebenfalls keinen sonderlich guten Eindruck machte. Sheep kniff die Augen zusammen und zeigte auf das Reptil, als würde er sich an etwas erinnern.
„Du warst gestern auch dabei. Ja genau. Hast gebechert wie ein Großer.“
„Erinnere mich nicht daran“, knurrte der Drache. „Mir dreht sich immer noch alles.“
„Wie das? Ich dachte eurer Art macht so etwas nichts aus.“
„Ließt Du denn niemals Drachensagen? Dort werden wir dauernd vergiftet, eingelullt und betrunken gemacht.“
Das brachte das Schaf irgendwie zum grinsen. „Anscheinend bist Du doch nichts anderes als eine harmlose Echse.“
Mushu fixierte Sheep mit einem warnenden Blick. „Man hat mir heute noch nicht das Mittel zur Feuerunterdrückung gegeben. Ich an Deiner Stelle wäre vorsichtig.“
„Äscher mich doch ein“, erwiderte Schaf gleichgültig. „Schlimmer als die Kopfschmerzen kann es nicht werden.“
„Ich weiss ganz genau, was Du meinst“, sagte das Reptil mitfühlend. „Weißt Du, dass wir heute Bewertungstraining haben?“
Sheep schaute schockiert auf. Diese Geste wurde mit einem stechenden Schmerz im Kopf honoriert. „Heute? Aber wir haben gestern alle bis in die Puppen gefeiert! Warum hat Fulli nichts gesagt?“
„Vermutlich genau aus dem Grund. Er will wohl sehen, wie wir uns unter extremen Bedingungen anstellen.“
„Manchmal ist er ein Sadist, dieser Fulli...“
Mushu nickte. „Hat so seine Momente. Lass uns Muhi auf die Beine stellen und dann machen wir uns bereit.“
Das ungleiche Paar ging langsamen Schrittes zu der Kuh, die trocken vor sich hinwürgte.
„Wie kommt es eigentlich, dass Alkohol bei Muhi Wirkung zeigt?“, wunderte sich der Drache. „Ich hab gehört, das Nervengifte auf ihn keine Wirkung mehr zeigen, seit er so ne Ladung Giftgas im Krieg abbekommen hat.“
Schaf zuckte die Schultern. „Wirkt sich doch auch auf die Körperzellen und Muskeln aus, der Alkohol. Du hättest sehen sollen, was er alles in sich hineingeschüttet hat. Ich denke aber, der größte Teil ist ein psychosomatischer Effekt. ‘Ne Art nostalgisches Placebo.“
Mushu starrte mit erstauntem Blick zu der Kuh, die mitleidserregend hustete und würgte. „Soll das heißen, er leidet, weil er sich das alles einbildet?“
„Ja“, grinste Schaf. „Traurig, nicht wahr?“
Sie stellten sich neben das leidende Tier und warteten, bis es sie bemerkte. In einer Atempause hob die Kuh den Kopf.
Aus blutunterlaufenen Augen und mit einem elendigen Blick schaute es die beiden an.
„Werde ich sterben?“, fragte es gurgelnd.
„Ich glaube nicht“, sagte das Schaf.
Muhi ließ die Schultern hängen. „Schade.“

JetLi nahm die Fernbedienung und stellte den DVD-Player auf Pause. In dem Briefing-Room waren nur er und Fulli, saßen vorne an einem Tisch, der mit Akten überhäuft war.
„Sind das alle Endberichte?“
Der Asiate nickte. „Von dem Heutigen Bewertungstraining. Ich habe das Match aufgenommen und von jedem Rekruten Mitschnitte gemacht. Auf Deinen Wunsch hin haben sich auch Redrum und Scorpion dem Training unterzogen.“
Fulli nickte. „Sehr gut. Rekruten anwerben mag ein Job mit hohen Anforderungen sein, aber die beiden dürfen ihr Training nicht vernachlässigen. Sie fehlten schon zu oft.“
„Dafür waren sie gar nicht mal so schlecht. Wenn man den allgemeinen Level betrachtet.“
Der Clanleader schaute auf. „Was meinst Du damit?“
JetLi zuckte mit den Schultern. „Na ja. Die Rekruten haben heute zum ersten mal in einem größeren Team gekämpft. Und sie sind noch nicht aufeinander eingespielt. Eigentlich habe ich ein Desaster erwartet.“
„Und ich bin sicher, genau so hast Du es denen verkauft“, grinste Fulli.
JetLi lächelte sadistisch. „Man darf die Leute nicht dem Müßiggang überlassen. Wenn man sie zu oft lobt, werden sie Überheblich und Leichtsinnig.“
„Aber ab und an eine kleine Aufmunterung wäre auch gut für ihr Seelenheil.“
„Sie brabbeln im Funksprechkanal wie bei einer Party. Keiner hält sich an Protokolle oder Disziplin. Das muss sich ändern. So lange sie noch Fehler machen, brülle ich sie zusammen. Wenn sie Lob verdient haben, werde ich es ihnen auch sagen“, meinte JetLi stur. „Wollen wir anfangen?“
Fulli nickte und nahm sich die ersten drei Akten vor.
Mushus, Pommies und Sheeps Namen standen auf den Deckeln.

Das Trainingsgelände lag außerhalb des Stützpunktes und über dem Eingang baumelte an einem Schild die Bezeichnung „CIA“.
Die Umgebung war in rudimentären Teilen dem Hauptgebäude der Geheimorganisation nachempfunden. JetLi hatte dieses Gelände ausgesucht, weil es eine Vielfalt an taktischen Möglichkeiten eröffnete. Man konnte in einen Nahkampf ebenso gut verstrickt werden wie in ein Sniperduell, an vielen Lokationen auch beides gleichzeitig. Meleefights kamen genauso häufig vor wie Schleichangriffe.
Sowohl die Terrorseite als auch die SWATS hatten eine Primäraufgabe, so daß beide Teams aktiv sein konnten. Natürlich gab es auch die Option, das Gegnerteam einfach auszuschalten. Welche Strategie man wählte, war dem Team überlassen. Einzige Prämisse, die JetLi befohlen hatte, war die Erfüllung der Primäraufgaben, und zwar mindestens fünfmal.
Die Frau in der Terrorbasis schlug sich äußerst gut in ihren kleidsamen Tarnklamotten.
Zu Beginn des Trainings hatte sie den Hauptgang verteidigt, aber ihre eingerosteten Fähigkeiten waren dem ständigen Ansturm dort nicht gewachsen. Und da jeder versuchte, ihr als arme, wehrlose Frau ständig über Funk Tipps zu geben, schaltete sie zwischendurch das Gerät kurzerhand ab und übernahm den Schutz der Basis. Kaum hörte man auf, ihr zu erklären, was sie zu tun hatte, lief es wunderbar. Man hatte den Eindruck, ihr Aiming stieg um 100 Prozent. Natürlich war der Ansturm auf ihre Position nicht mehr so stark, weil die hälfte der Gegner mittlerweile Snipergewehre besaß und sich auf den Dächern ein Duell lieferte, aber diejenigen, die versuchten, die Geiseln zu befreien oder die Basis zu räumen, wurden mit einer grinsenden Frau konfrontiert, die einen Gegner nach dem anderen abknallte und dabei immer wieder fröhlich über das Comlink rief: „Du kommst hier net rein!“
Mehr aus Verzweiflung denn aus taktischen Gründen schickte man ihr Turinos und Schnubbel entgegen – nur einmal.
Aber als auch die beiden ihrem Beschuss zum Opfer fielen, überließ man die Position wieder dem alten Team.
„Ich glaube, Noise ist unterwegs zu Dir. Und das Schaf und Mushu kriechen auch noch irgendwo da unten rum“, meldete sich Shu in ihrem Ohrstöpsel.
„Solln nur kommen!“, knurrte sie und grinste wild. „Die sind Futter für meine MP!“.
„Vielleicht solltest Du...“
„Fang gar nicht erst damit an“, warnte sie im Funkspruch. „Ich weiss, was ich tue.“
„Wie Du meinst“, sagte Shu und unterbrach die Verbindung. Pommie huschte zu ihrer Position und visierte die Ecke des Hauptganges an. Da sie alleine war, hatte sie keine Scheu, eine Granate auf Verdacht zu werden. Dort hinten konnte keiner aus ihrem Team sein. Um die MP nicht loslassen zu müssen, biss sie mit den Zähnen den Ring und zog den Stift aus der Granate.
Mit einem kribbeln in der Magengegend hörte sie das helle, metallische „kling“, als der Sicherungshebel von der Granate sprang und das olivgrüne Ei eine dünne Rauchfahne ausstieß.
Pommie schwang ihren Arm und warf die Granate über die umgestürzten Tische.
Mit euphorischer Genugtuung hörte sie ein „Oh nein!“ am Ende des Ganges und die Schmerzensschreie von Noise, als die Nade direkt vor seinen Füßen detonierte.
Einer weniger. Sheep und Mushu sollten kein Problem mehr sein. Sie legte die MP an und zielte auf die Ecke.

JetLi hielt den Film an.
„Sie macht sich sehr gut“, meinte Fulli. „Für die lange Zeit ohne Training hält sie sich nicht schlecht.“
Der Trainer nickte. „Generell lernt sie schnell. Ein Phänomen das ich oft bei Leuten beobachtet habe, die erst spät in diese Kriegsform eingeführt wurden. Viele von ihnen erreichen aber recht bald ihren Endpunkt und entwickeln sich nicht mehr weiter. Pommie hingegen hat Potential.“
„Sie hat sogar Turi und Schnubbel erwischt, als sie im Zweierteam kamen“, meinte der Clanleader bewundernd
JetLi zuckte mit den Achseln. „Schau Dir die Aufnahmen in einer ruhigen Minute mal genauer an. Das war eher Glück. Oder besser gesagt, der Fehler von den beiden Jungs. Schnubbel hatte Pommie unterschätzt und Turi hatte sich zu sehr auf den Schlumpf verlassen. Sie hat den Scharfschützen von hinten erwischt, als er keine Rückendeckung mehr hatte. Wäre er noch voll auf dem Damm gewesen, würde sie da nicht mehr sitzen.“
„Aber immerhin.“
„Wie gesagt“, bemerkte JetLi noch einmal. „Das war nur Glück. Aber sie kann mit den anderen durchaus mithalten. Ein wenig intensives Training und wir machen aus ihr einen Profi.“
„Hat sie einen Rüffel von Dir bekommen, weil sie die Funkverbindung unterbrochen hatte?“
Der Asiate schüttelte den Kopf. „Das hab ich ihr in diesem Fall durchgehen lassen. Vier Mitglieder stürmten ständig mit Oberklugen Ratschlägen auf sie ein. Lediglich Rotz war still, was mich überraschte, und Wulle sagte auch nichts. Pommie ist einer der Menschen, denen man nur sagen muss, was sie wo wie zu tun haben und dann überlässt man sie ihrer Position. Auf den Rest kommt sie selber und sucht sich ihre eigene Methode. So nutzt man ihr Potential am besten.“
„Hm“, meinte Fulli und nickte. „Frauen sollen ja besonders kreativ sein.“
„Das muss sie noch lernen!“, warnte JetLi. „Wie gesagt; gute Teamfähigkeit, Skill und Aiming im Mittelmaß und ausbaufähig. In der Frau stecken noch eine menge Ressourcen. Aber ihre Improvisationsgabe ist ein wenig verkümmert. Sie folgt zu starr dem Training und variiert nur im geringen Maße. Es sollte mich ja freuen, dass mich wenigstens ein Rekrut ernst nimmt. Aber bei den Gegnern, auf die wir stoßen werden, muss ich mehr erwarten können.“
Fulli schaute nachdenklich auf den Monitor. Pommie in wartender Stellung war als Standbild eingefroren. „Sie hat Kinder und macht eine Ausbildung, die sie keinesfalls unterbrechen will. Und das akzeptiere ich. Nimm sie so hart ran, wie Du kannst. Aber der Zeitfaktor wird bei ihr immer ein Problem sein. Bedenke das.“
„Kein Problem“, nickte JetLi. „Nächster?“
„Ja“, sagte Fulli. Er klappte die Akte vom Schaf auf.

Er fühlte sich nach wie vor elend. Aber Drei Liter Kaffee und ein halbes Dutzend Zigaretten hatten seinen Zustand auf ein erträgliches Maß gemindert.
Seltsamerweise gelang es ihm heute, sich besser zu konzentrieren. Immer, wenn die Panik ihn übermannte (überschafte, korrigierte er sich. Er war noch nie so lange unter Menschen gewesen.), kam sie einher mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Es machte ihn nicht mehr soviel aus, abgeknallt zu werden und das Adrenalin lies sein Herz nicht mehr so rasen. Es fiel ihm leichter, ein Ziel anzuvisieren und zu treffen. Ein seltsames Gefühl, wenn man dabei im Vollbesitz seiner Sinne war.
Außerdem verschaffte es ihm eine gewisse Befriedigung, sich auf Pommie und Wulle zu stürzen, denn im Training galten nur die Regeln der Waffen.
Die ersten Runden stürmte ein Großteil des Teams durch den Hauptgang und er hatte kaum Gelegenheit, seine Lieblingsziele unter Beschuss zu nehmen.
Als die Punktzahl nach einigen Durchgängen hoch genug war, dass JetLi Scharfschützengewehre genehmigte, verzog sich ein teil des Teams auf die Dächer. Mit Mushu, Noise und Tiger überließ man ihnen das Treppenhaus und natürlich den Hauptgang.
Schaf übernahm sofort die Führung des kleinen Teams, nicht weil er sich als Leader aufführen wollte, sondern weil er ohne Scheu Tiger und Noise dazu benutzte, das Treppenhaus und den Gang zu erkunden, damit er wusste, was ihn dort erwartete.
Dies war doch ein Teamsport, oder?
Noise hatte ernste Probleme im Treppenhaus, während Schaf und Tiger im Hauptgang auf Redrum und Scorpi trafen.
Die Schwarzrot gestreifte Riesenkatze war keine Hilfe. Bestenfalls eine Ablenkung. Aber Schaf hatte wenig Mühe mit den beiden Männern und schoss sie Problemlos über den Haufen, scheiterte dann aber an Pommie, die ihre Position weiter zurück gezogen hatte und ihn in vier Durchgängen niederschoss.
Wenn er noch einmal dieses „Du kommst hier net rein!“ hörte, dann, schwörte er, würde er ihr eine Granate in das lose Mundwerk stopfen und es zunähen!
Also sprach er sich mit Mushu ab und änderte seine Taktik. Noise lief mit Tiger durch den Gang und hatte ebenso wenig Mühe, Reddy und Scorpion zu erledigen. Wie immer blieb der Tiger auf der Strecke.

Der Asiate zeigte auf die Riesenkatze, die auf dem Boden lag.
„Er war zu lange fort“, meinte er. „Hat den Anschluss verloren. Aber sein Kampfwille ist noch da.“
„Du kriegst den Tiger aus den Dschungel, aber den Dschungel nicht aus dem Tiger“, sinnierte Fulli und faltete die Hände vor das Kinn. „Meinst Du, das wird noch was mit ihm?“
JetLi nickte zuversichtlich. „Ich weiss nicht, ob wir ihn für die Vorausscheidung nehmen können. Die Zeit ist recht knapp.
Aber wenn er am Ball bleibt und ein paar Trainingseinheiten extra einlegt, dann ja. Dann ist er mit dabei. Er ist ein guter Kämpfer, ohne Zweifel. Ihm fehlt schlicht die Praxis.“
Fulli schien erleichtert. „Was ist mit Redrum und Scorpion?“
„Sie sind erstaunlich gut in Form“, kommentierte der Trainer.
„Ich hatte schlimmeres erwartet. Die ganzen Rekrutierungsjobs und so. Aber tatsächlich haben die beiden sich enorm verbessert. Nimm diese Situation zum Beispiel“, sagte er und spulte die Aufnahme vor, bis zu dem Zeitindex, wo sie auf Noise trafen. „Ihre Teamfähigkeit ist enorm und sie wissen, wie sie sich auf ihren Positionen zu verhalten haben. Scorpi hat die Eigenart, immer ein wenig verwirrt und planlos zu wirken. Das täuscht aber in erster Linie nur die Gegner. Die beiden werden nach wie vor unterschätzt, aber langsam sollte man sie erstnehmen. Ich teile sie in das gleiche Trainingsprogramm ein wie Pommie, Sheep und Mushu. Dann mache ich sie zu exzellenten Kriegern.“
„Ich dachte, das sind sie schon“, meinte der Clanleader.
„Ja“, sagte JetLi. „Aber sie könnten noch viel besser.“

Im Treppenhaus stellte sich Wulle dem Schaf entgegen und es zeigte sich, dass der Klon ein ausgezeichneter Sniper war. Allerdings konnte er das an dieser Position nicht voll ausnutzen und Sheep kam immer wieder nah genug an ihn heran, um ihn aus den Schuhen zu pusten.
„Das kann nich sein, Schaf!“, murmelte der Lockenkopf, der benommen vor ihm auf dem Boden lag. „Du spielst doch falsch!“
„Ich bin ein Schaf“, meinte Sheep mit einer engelssüßen Stimme voll triefender Unschuld. „Wie falsch soll ich spielen mit meinem minderen IQ? Du bist halt ein Noob, Wulle.“
Der Klon grinste breit. „Hast ein neues Wort gelernt, Schaf?“
Sheep zuckte leidenschaftslos mit den Schultern und schickte Wulle mit einem Fangschuss aus Runde. Dann nahm er (weil er so schneller rennen konnte und wusste, das JetLi ihn in dem Moment nicht anschreien konnte) die Waffe ins Maul und sprintete die Treppe hoch, sprang durch die die Detektorsperre und sah direkt neben sich sich auf der linken Seite Pommie, die ihn ins Feuer nahm.
„Kreisch!“ blökte das Schaf, rutschte über den glatten Boden, Funken der einschlagenden Projektile folgten seinem Weg. Unkontrolliert schlitterte er in den Raum mit den Geiseln, die ebenso erschrocken wegsprangen, als das Schaf unsanft gegen die Wand prallte.
„Aus dem Weg, ihr Deppen!“, schrie er dem Personal zu, das heute die undankbare Aufgabe hatte, die Geiseln zu mimen und gab eine ungezielte Salve auf die Tür ab.
Pommie duckte sich und suchte ihrerseits Deckung hinter dem Türpfosten.
„Du kommst hier net rein!“, sagte sie aus reiner Provokation.
„Ich bin doch schon drin, Du Nulpe!“, keifte das Schaf aufgebracht.
Die Frau überlegte kurz. „Dann kommste halt net mehr raus!“
„Ich geh über die Leiter.“
Pommie lachte. „Da oben sitzen die ganzen Sniper. Wenn Du eine Karriere als Patchwork-Decke machen willst, viel Spaß.“
Für einen Moment wurde es ruhig und die Belgierin grinste breit. Darauf fiel dem Schaf nichts mehr ein. Langsam kroch sie näher zu dem Eingang und legte schon mal ihre MP an.
„Komm raus, blöder Hammel. Du hast verloren.“
„Sagt wer?“
„Sagen ich und meine Heckler&Koch Qualitätsware!“
Pommie hörte ein Gemurmel aus dem Geiselzimmer und wurde auf einmal unruhig. Irgendwas stimmte nicht.
Der Schuss traf sie unerwartet und schleuderte sie von den Beinen. Mit verschwommenen Blick schaute sie den Hauptflur lang und sah den Drachen in seiner Menschengestalt, wie er sein Snipergewehr durchlud.
Schaf kam mit angelegter Waffe fröhlich auf sie zugetrabt. „Du solltest mehr Überblick über die Gegner halten. Schafe sind Herdentier und kommen nie alleine.“
„Du bist ein kleiner Feigling“, knurrte Pommie und hob ihre Waffe.
Sheep schoss und schickte die Frau ins Reich der Träume. „Ja, aber der Feigling ist noch im Spiel“. Erleichtert lud er die Waffe nach und sah zu dem Drachen, der mit dem Scharfschützengewehr hantierte und zu ihm aufschloss.
„Hat ja gut geklappt“, dankte er Mushu.
„Sie hatte sich auch nur auf Dich konzentriert.“
Das Schaf nickte. „Sollte man öfter versuchen. Aber das wird nicht immer funktionieren.
Na gut. Du nimmst die Geiseln. Ich schau nach, ob da noch jemand auf dem Weg lauert.“
Sheep lief los, die Treppe hinunter, ignorierte das Snipergefecht auf dem Dach und wähnte sich sicher, vergaß dabei völlig, dass auch das andere Team mit der Rettung der Geiseln rechnete. Shu ,der diese Runde vorsorglicherweise die Rettungszone bewachte, machte sich nicht einmal die Mühe, sein Scharfschützengewehr rauszuholen. Das hob er sich für den Drachen auf.
Kreischend sprang das Schaf um ihn herum, völlig überrascht von der Konfrontation und versuchte, ihm einige gutgezielte Salven zu verpassen. Shu hatte leichtes Spiel, leerte sein Magazin in das Fell des Wolltiers und erledigte es innerhalb von Sekunden.

„Ich weiss nicht, was mit dem Schaf heute los war“, seufzte JetLi. „Er war konzentrierter, zielgenauer und in viel besserer Verfassung, als ich es zuvor je erlebt habe. Wüsste ich es nicht besser, dann würde ich sagen, es hat sich weiter entwickelt.“
„Hat es das denn?“, fragte Fulli.
JetLi zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Zum einen ist er manchmal ein Kameradenschwein. Er neigt dazu, Kämpfen auszuweichen, andere als Art Geigerzähler für Gefahren zu benutzen. Schickt andere vor, um einen Gegner zu schwächen oder abzulenken, oder einfach nur, damit er selber nicht in die Schusslinie gerät. Auf der anderen Seite tut er das gleiche, damit seine Kameraden freie Bahn haben.
Heute war er gut. Richtig gut. Er hat Wulle ständig erledigt und ich hielt den Klon für einen besseren Kämpfer als das Schaf.“
„Aber das ist er nicht“, erwiderte der Clanleader.
Der Asiate schüttelte den Kopf. „Ist er auch nicht. Wulle ist eindeutig besser. Doch wenn ich die Leistung von Sheep kommentieren sollte, müsste ich sagen, ihm ist es heute irgendwie gelungen, seinen Panikmodus unter Kontrolle zu bringen, dabei bewusst zu handeln. Sieh hier...“
JetLi hantierte mit der Fernbedienung und zeigte einige Gefechte, in denen Sheep auf Gegner stieß. „Er macht nach wie vor Fehler, unkontrollierte und wahnwitzige Handlungen ohne Sinn und Verstand und mehr als einmal hatte er schlicht Glück gehabt. Aber sonst...“
„Schaf hatte gestern viel getrunken und war heute alles andere als Fit“, warf der General ein.
Der Trainer wiegte den Kopf. „Vielleicht spielt das tatsächlich eine Rolle. Wenn Sheep nicht die Möglichkeit hat, sich seiner Angst im vollen Maße zu ergeben, dann kann er seinen sogenannten Panikmodus tatsächlich besser kontrollieren. Vielleicht sollte ich da ansetzten.
Und hier, zum Schluss das...“. JetLi spulte zum Zeitindex, wo Shu sich auf das Wolltier stürzte.
„Ein grober Fehler. Schaf sagt, er wollte nach weiteren Einheiten Ausschau halten und Mushu den Weg freimachen. Prompt geht er drauf und lässt seinen Kameraden ohne Rückendeckung zurück. Er hätte damit rechnen müssen. Aber seine Freude und der Stolz, so gut gehandelt zu haben, hat ihn für weitere Gefahren völlig blind gemacht.“
„Mit anderen Worten: Er steht noch ganz am Anfang.“
JetLi nickte. „Potential, aber kein Handwerk dahinter, ja. Mit ihm werde ich die meiste Arbeit haben.“
Fulli nickte und nahm sich Mushus Akte vor.

Schon vor Beginn des Trainings hatte der Drache seine Gestalt gewechselt. Was die meisten nicht wussten; mit dieser Morphose endete auch jeder anormale Zustand, unter dem der Drache bis dahin litt. Er war also wieder nüchtern und voll konzentriert. Überlegt und mit gewissenhaften Handlungen zog er in den Kampf und gab sich in Gefechten keine Blöße. Er nutzte die Toten Winkel oder Lücken in der Verteidigung gekonnt aus und stürzte die Gegner mit gezielten Schüssen. Als JetLi nach den ersten Drei Runden die Scharfschützengewehre freigab, forderte er eines an und ging nicht, wie erwartet, mit auf die Dächer sondern unterstützte Noise und das Schaf mit dem Sniper.
Diese Waffe war ihm nach wie vor ungewohnt und es fiel ihm schwer, bewegende Ziele mit schnellen Schüssen zu erledigen. Ein Umstand, der ihn schnell nervös machte, weil er wusste, ein Sniper, der nicht traf, war immer das akute Angriffsziel. Also gab er Schaf und Noise die Gelegenheit, andere in Gefechte zu verwickeln und nahm dann sein Ziel in aller Ruhe unter Beschuss. Mit der nötigen Ruhe waren die Feinde nun kein Problem mehr und Mushu erreichte eine erstaunlich hohe Abschussquote.
Soeben hatte er Pommie erledigt. Ente auf dem Teich, dachte er, als sie da hockte und sich an das Schaf anschlich, dass sich im Geiselraum verschanzt hatte.
Dann, mit seinem typischen, nervigen Gekreische war Sheep an Shu gescheitert und Mushu war alleine im ersten Stock und musste zusehen, wie er an dem Jail House Rocker vorbeikam.
Der Gegner hatte ebenfalls eine Sniper und würde sich mit Mushu gewiss nicht auf die gleiche Weise anlegen wie mit dem Schaf.
Seufzend ließ er die Geiseln stehen und ging durch das Treppenhaus nach unten, hoffte auf die Chance, seinen Gegner eher zu entdecken als er ihn.
Kurz vor dem Ausgang überlegte er es sich anders und holte sich aus dem Lager noch schnell eine Granate.
Wieder schlich er zum Hauptausgang, hoffte nach wie vor, Shu zielte auf einen der beiden Seiteneingänge und warf das Ei im hohen Bogen über die Bus-Attrappe.
Wie erwartet hechtete Shu dahinter hervor und suchte hastig nach einem Ziel. Mushu schoss.
Und verfehlte.
Hektisch fluchend lud er die Waffe nach. Warum mussten sich seine Opfer immer bewegen. In seinen glorreichen Tagen als Drache war er es gewohnt, das man vor Schreck erstarrte, wenn er ankam und um Gnade flehte. Oder wenigstens schrie.
Noch ein Schuss, dann musste er in den Nahkampf.
Er traf, aber nicht genau. Shu stand noch und entdeckte nun seine Position.
„Oh nein“, seufzte das Reptil, hechtete zur Statueninsel und ging dort in Deckung, schulterte das Sniper und legte mit der MP an.
Nichts passierte. Klar, angeschlagen wie der Jail House Rocker mit dem seltsamen Modetick war, würde er sich nicht aus seiner Deckung wagen, sondern darauf warten, das der Drache sich zeigte und ihn mit dem Scharfschützengewehr unters Feuer nehmen.
Mushu riskierte einen vorsichtigen Blick.
Der Helm wurde ihm vom Kopf geschossen und der Drache fiel rückwärts in seine Deckung zurück, keuchte erschrocken. Das ging beinahe schief!
Andere Seite, kurz zeigen, zurück springen. Ein Schuss knallte vorbei. Aha.
Sofort stürmte er wieder aus der gleichen Position. Wie erwartet zielte Shu auf die gegenüberliegende Stellung, vermutete, der Drache würde von dieser Seite kommen.
Zu spät bemerkte er seinen Fehler und lief wieder um den Bus herum. Da stand der Drache aber schon vor ihm.
Die MP knatterte und Shu duckte sich, gab einen ungezielten Schuss mit der Sniper ab, traf das Reptil, aber nicht richtig.
Mushu leerte sein ganzes Magazin und erledigte den fluchenden Gegner.
Erleichtert und erschöpft lief der Drache zurück zum Geiselraum, um die armen Schauspieler dort zu befreien, als er eine Meldung auf sein Helm-HUD bekam.
Retina Scan wird überbrückt: Achtung! Unautorisierter Zugriff!
„Nicht auch das noch“; stöhnte er, drehte sich auf dem Absatz um und lief so schnell er konnte zurück zur Basis.

Fulli und JetLi nickten beide anerkennend und zufrieden.
„Ich habe nichts auszusetzen“, sagte der Trainer. „Ein sehr guter, überlegter Spieler. Teamfähig, ein hohes Verständnis von Taktik und Strategie. Verliert nie den Überblick.“
„Er hat echt die Ruhe weg“, fügte der Clanleader hinzu.
JetLi lächelte mit ein wenig Spott und spulte ein wenig vor. „Manchmal nicht. Aber das passiert vielen. Wichtig ist, dass Mushu in solchen Momenten die Kontrolle nicht verliert. Das ist der Hauptgrund, weshalb er aus den meisten Konfrontationen siegreich hervor geht. Ein wenig mehr Training, vor allem mit dem Sniper – da fehlt ihm wohl noch ein wenig die Ruhe – und wir haben einen echten Drachen im Team, der seinen Namen auch verdient.“
Fulli lehnte sich zurück und legte die drei Akten in den Ablagekorb. „Ich bin zufrieden“, sagte er zu seinem Ausbilder. „Sehr sogar. Es könnte, wie immer, ein wenig besser sein, aber um es ganz ehrlich zu sagen, ich hatte schlimmeres erwartet. Tiger macht mir Sorgen, aber wenn Du sagst, er ist nur eingerostet, dann nehm ich das so hin.“
JetLi sah nicht ganz so zufrieden aus.
„Die Leute, die Du eben gesehen hast, haben sich heute gut hervor getan. Wenn Du Dir die Profis anschaust, wirst Du ein wenig enttäuscht sein, fürchte ich.“
Fulli seufzte und nahm sich drei weitere Akten vor. „Ich habe befürchtet, Du würdest das sagen.
Also gut. Mit wem fangen wir an?“
„Dem Engel. Auf ihm liegt mein Hauptaugenmerk.“
Fulli schlug den Aktendeckel auf, der mit „Erzengel“ beschriftet war. „Schiess los“, sagte er zu dem Trainer.

Kaum gab es Sniper, stand Erzi als erster in der Reihe, schnappte sich eines und stürmte auf das Dach.
Endlich, endlich wieder das tun, was er am besten konnte. Seine Kameraden ignorierte er. Die waren da, um ihm den Rücken frei zu halten. Schon kam das erste Ziel die Leiter hochgekraxelt und suchte Deckung. Zu spät. Erzengel gab ihm einen direkten Kopfschuss und schleuderte die Kuh in das Reich der Träume und Kopfschmerzen.
Gleich nach der Kuh flitzte der kleine Schlumpf übers Dach und verschanzte sich hinter einer der Generatorhäuschen.
Erzengel ließ sich von den Projektilen, die rings um ihn einschlugen, nicht beirren.
Schnubbel dachte, als kleines Ziel wäre er schwerer zu treffen und Erzi würde sich irritieren lassen. Aber der überproportionierte Kopf war ein gutes Ziel. Insbesondere mit dem riesigen Helm darauf. Erzi drückte ab.
Ein blaues, kleines Männchen machte eine Rolle und blieb bewusstlos liegen.
Endlich kam Turinos hoch und darauf freute sich der Engel besonders. Er galt als Legende, als einer der besten Sniper. Das wusste er aus seinem göttlichen Erinnerungsvermögen und aus den Berichten, die er bekommen hatte. Eine Herausforderung, der das Gefallene Wesen nicht widerstehen konnte.
Er schoss, und traf den Superschützen ins Bein.
Das hatte er nicht erwartet. Der Kerl war schnell. Und nun huschte der Sniper hin und her, gab erstaunlich gutgezielte Schütze ab, die das ehemals göttliche Wesen in Deckung zwangen. Was für ein Mist, von einem Sterblichen so vorgeführt zu werden!
Langsam schlich der Engel an den Generatorhäusern längs, bis er zu der schmalen Lücke zwischen den beiden Bauten kam und suchte nach seinem Ziel.
Schockiert sah er auf der anderen Seite, ebenfalls zwischen dem Spalt der Generatorhäuschen, den Scharfschützen, der direkt auf seinen Kopf zielte.
Und dann war es auch schon vorbei. Der Schuss traf ihn mit voller Wucht, warf ihn nach hinten und schleuderte ihn benommen zu Boden.
Wie erbärmlich, dachte er, von einem Sterblichen erwischt. Er wollte lauthals fluchen, alle Verwünschungen des Himmels und der Erde über den jungen Sniper schütten, aber da umfing ihn schon die dunkle Ohnmacht und bescherte ihm unangenehme Träume.

JetLi drückte auf die Stopptaste und schüttelte ärgerlich den Kopf.
Fulli sah ihn verwundert an. „Er ist doch ein guter Kämpfer. Ein exzellenter Sniper. Ich habe bisher keinen gesehen, der so gut und so schnell schiesst.“
„Für menschliche Maßstäbe“, erinnerte der Asiate ihn. „Aber er ist ein Engel.“
„Der seine Kräfte längs verloren hat“, konterte der Clanleader.
„Bis auf seine Fähigkeiten als Krieger. Aber das ist es nicht, was mich stört. Seine Reflexe, seine Zielgenauigkeit, die stelle ich alle nicht in Frage. Die sind einwandfrei.“
Fulli breitete die Arme aus. „Dann klär mich auf. Ich habe irgendwie den Faden verloren.“
„Oder nicht richtig hingeschaut“, meinte der Trainer und zeigte auf dem Monitor verschiedene Szenen. „Er ist kein Teamspieler. Er nutzt andere als Rückendeckung oder Kanonenfutter.“
„JetLi, wer tut das nicht?“
„Mag sein, aber die sprechen sich ab. Erzengel geht automatisch davon aus, dass die anderen für ihn da sind. Du hast ihn fluchen und schreien hören, wenn es ein Gegner schaffte, sich in seinen Rücken zu schleichen. Der Umstand, das dort niemand saß oder er niemanden gebeten hatte, auf ihn aufzupassen, spielt für ihn keine Rolle.
Er ist ein Einzelkämpfer, Fulli. Seine Teamfähigkeit kannst Du in die Tonne treten.“
„Hm“, meinte der Clanleader und klopfte sich nachdenklich an das Kinn. „Er ist ein Gefallener Engel. Nun ist er unter Sterblichen Wesen, die ihm einst unterlegen waren und nur ein Teil der Schöpfung, die er für seinen Boss beschützen oder bestrafen sollte. Es muss ihm schwer fallen, sie als gleichwertig anzusehen.“
„Dann sollte er das ganz schnell lernen. Denn er ist nun mal unter Menschen und viel unterscheidet ihn nicht mehr von ihnen. Er ist kein Diener Gottes mehr und kein Hüter der Schöpfung.“
„Hast Du ihm das gesagt?“
JetLi nickte. Wiegte dann den Kopf. „Na ja, nicht genau in diesen Worten. Aber er schien nicht einmal zu verstehen, was ich von ihm wollte.“
„Das sind doch ganz normale Anpassungsschwierigkeiten. Denk an die Paarhufer oder den Drachen. Die müssen auch auf einmal mit so vielen Menschen auskommen.“
„Ich verurteile ihn ja auch nicht. Und ich gebe ihm natürlich eine Chance. Ich werde ihn zusammen mit Turinos und den J.R.‘s trainieren. Ich frage mich nur, ob er sich einfach nur eingewöhnen muss, oder er gar nicht in der Lage ist, Menschen als ein Teil seiner neuen Gesellschaft zu akzeptieren. Wenn er im Kopf immer ein Engel bleibt, wird er ein Problem haben.“

„Abwarten“, meinte Fulli mit seiner stoischen Zuversicht, die JetLi immer so erstaunte. „Was ist mit Wulle?“

Der Umstand, erst ein paar Wochen alt zu sein, ein vollausgebildetes Bewusstsein und komplett entwickelte Kognitive Fähigkeiten zu besitzen, kümmerten den Klon nicht.
Das waren Phänomene, um die sich die Wissenschaftler streiten sollten. Er freute sich nur über seine Reflexe, den schnellen und gesunden Körper und dem Umstand, diese Dinge in vollen Zügen nutzen zu können. Während seine Kameraden auf das Dach gingen, übernahm er die Verteidigung des Treppenhauses. Von dort konnte man direkt hinüber auf die andere Seite snipern. Und snipern, das fiel ihm leicht. Man musste dafür schnell sein, zielsicher und ruhig. Man brauchte eine gute Auffassungsgabe. Und all das besaß er, frisch aus der Retorte und in serieller Ausstattung.
Umso verwirrender war es, als der Verlauf sich auf einmal änderte. Den Tiger, Mushu oder Noise zu snipern war kein Problem. Aber plötzlich schickten sie ihm das Schaf und Wulle wurde das Gefühl nicht los, dass das Tier einen persönlichen Groll gegen ihn hegte. Er empfand nicht so und vielleicht wollte das Schaf auch nur beweisen, dass er besser war als ein Produkt aus seiner Wolle.
Wulle kannte das Konzept von Rivalität, Konkurrenz und Wettkampf noch nicht, aber er lernte heute das emotionale Spektrum von Frustration und Rache.
Es fiel ihm nicht auf, aber er entwickelte langsam individuelle Eigenarten, wie zum Beispiel unter Stress leise vor sich hinzusingen.
Sein Ziel war nun, das blöde Schaf zu erwischen. Wie das Wolltier selber konnte auch er nicht akzeptieren, dass das Biest in der Lage war, seine Sniperposition zu unterlaufen und ihn in einen Nahkampf zu verwickeln und auch noch zu erledigen. Nächste Runde, so schwor er sich, würde er das Vieh erwischen.
Denn schneller als jeder andere hatte er die Schwachstellen von Schaf analysiert. Es war nicht in der Lage, umzudenken. Eine neue Position brachten Sheep für wenigstens drei oder vier Runden aus dem Konzept und machten ihn zu einem leichten Gegner. Und wenn man das Schaf auch noch in einen schnellen, wirren Kampf verwickelte, dann verlor es schnell den Kopf und seine Panik wurde unkontrollierbar.
Lücken. Das Schaf hatte zu viele Lücken in seiner Taktik und kannte kaum eine davon.
Wulle würde sie ihm alle zeigen.

Fulli und Jetti grinsten, als das Video angehalten wurde.
„Macht sich gut, der Klon“, freute sich JetLi. „Hat alles, was ein Liga-Krieger braucht“. Er wandte sich dem General zu. „Ist er denn zugelassen?“
Der Clanleader zuckte mit den Schultern. „Wissen wir noch nicht. Ich habe seine kompletten medizinischen Unterlagen zur Administration geschickt. Und die wollen noch die Aufnahmen sehen. Wenn feststeht, dass er sich genetisch nicht von anderen Spieler unterscheidet oder einen biomechanischen Vorteil besitzt, sollte seiner Aufnahme nichts im Wege stehen.“
„Hm“, meinte JetLi. „Er ist ein gesunder Junge. Schnelle Auffassungsgabe, gute Reflexe und Hand-Augen-Koordination. Eigentlich nutzt er nur seine natürlichen Fähigkeiten. An ihm sieht man, wie wichtig die geistige und körperliche Verfassung ist.“
„Das kann nicht alles sein, oder?“, überlegte Fulli laut. „Er ist erst zwei Wochen alt und versteht jetzt schon die grundlegenden Prinzipien von Taktik und den Umgang mit Waffen. Sind das Eigenschaften, die er von der Stamm-DNA übernommen hat?“
Die beiden Männer schauten sich an und dachten dann an das Schaf, von dem die Gene stammten, schüttelten dann den Kopf. „Nein, hast recht, kann nicht sein.“
„Eben. Aber irgendeine Verbindung muss da doch sein. Warum scheitert er an dem Schaf und kommt so gut gegen andere Gegner zurecht?“
Fulli klappte die Akte zu. „Von wem er stammt, ist doch egal. Die Körperlichen Eigenarten haben sich natürlich in der Inkubationskammer entwickelt. Es sind seine Eigenen und sie weichen komplett von der Quell-DNA ab. Auch die geistigen Fähigkeiten. Denk an Kinder und ihre Eltern zum Beispiel. Da mag es vielleicht vererbte Talente geben, aber wenn Du sie trennst, gleich von Geburt an, bauen sie keine Bindung zu ihren leiblichen Erzeugern auf. Ich denke, das Schaf ist besessen davon zu zeigen, dass ein Klon aus seiner Wolle nicht besser sein kann als er selbst. Und damit hat er in Wulle den Wunsch geweckt, das Gegenteil zu beweisen.“
JetLi nickte verstehend. „Sozusagen ein Orakel-Syndrom“.
„Kann man so sagen. Ich glaube, die beiden werden sich irgendwann gut verstehen. Sheep war heute in unerklärlich guter Form. Aber so leicht wie heute wird er es gegen Wulle nicht mehr haben. Sobald der Klon erkannt hat, wie das Schaf vorgeht, sind die Zeiten vorbei. Dann wird ihm auch sein Panik-Modus nicht mehr helfen. Wulle lernt sehr schnell.“
„Aber Axti hat mir gesagt, das wird sich bald geben. Seine Wachstumsphase wird in spätestens Zwei Monaten ihr Ende erreicht haben. Dann wird er sich auf die gleiche weise fortentwickeln wie jeder andere Mensch.“
„Hm“, meinte Fulli. „Dann sollten wir diese zwei Monate nutzen und in ihn reinpressen, was nur geht. Davon kann er später nur profitieren.“
„Ich werde mich darum kümmern“, versprach JetLi. „Sorg Du nur dafür, dass er die Zulassung bekommt.“
„Keine Sorge“, versicherte Fulli. „Das wird schon klappen. Kommen wir zu Schnubbel und Muhi.“
JetLi nickte und lies die Aufnahmen weiterlaufen.

Der Schlumpf duckte sich und schaute zu seinem Kameraden. Die Kuh schaute mit irren Augen um sich, als sie hinter ihm aufs Dach stürmte und aus ihrem grinsenden Maul hing die Zunge.
„Dir ist klar, dass Du snipern sollst, Kuh, oder?“
Das Vieh schaute ihn mit kullernden Augen an. „Muuh?“
„Ich...ich meine, Du sollst nicht rüberspringen und die Typen zerfleischen. Du kannst nämlich nicht fliegen.“
„Hältst Du mich für verrückt oder was?“, platzte es aus der Kuh heraus.
Schnubbel schüttelte schnell den Kopf. „Käme mir nie in den Sinn...“
„Deck lieber das Eingangsloch. Wer weiss, wer von hinten kommt!“
Schnubbel seufzte, überließ die Kuh dem Sniperduell und schaute auf die Leiter. Turi kam hoch und der Schlumpf zuckte erschrocken zusammen. Der Junge Mann fixierte ihn mit einem warnenden Blick. „Alda, ein Schuss und ich kick Dich vom Dach! Wer soll denn jetzt schon hochkommen außer unsrem Team?“
„Bin nur ein wenig überspannt“, entschuldigte sich der Schlumpf. Hinter ihm muhte die Kuh laut auf und fiel um.
„Mein Einsatz, Turi. Halt die Stellung.“
„Lol, sicher!“, meinte der Sniper höhnend und ging in Stellung.
Rotz und Erzengel schossen als allen Rohren. Aber Turinos hielt sie gut beschäftigt, was Schnubbel genug Zeit gab, unbemerkt das Dach entlang zu laufen und auf den kleinen Vorsprung zu hüpfen.
Er grinste breit, als er von den Gegnern unbemerkt hinter der Sims verschwand.
Mit seiner Sniper fixierte er Rotz und drückte ab.
Mist! Nur den Körper getroffen! Der Gegner stand noch und ging in Deckung, entdeckte den Schlumpf.
Rotz war schon immer sehr schnell mit seinen Augen und er kannte den Schlumpf. Wenn er jetzt nicht traf, war es vorbei.
Er zielt auf das Generatorhäuschen, schwenkte dann den Zoom auf die andere Seite. Rotz trat hervor und gab einen Schuss ab, bevor Schnubbel reagieren konnte. Ruhig bleiben, Luft anhalten, abdrücken...
Rotz fiel und blieb liegen, noch bevor der Schlumpf seinen Zeigefinger krümmte. Turi gönnte sich ein schmales Lächeln und feuerte weiter.
Keine Zeit für Ärger, ermahnte sich Schnubbel, lud durch und zielte auf den Engel.
Es war zum verrückt werden! Erzi schwenkte den Lauf seiner Waffe und nahm den Schlumpf aufs Korn. Wie konnte er, mitten in einem Duell, Turi ignorieren und auf ihn schiessen?


Ungezielt schoss er in die Richtung des gefallenen Engels und wollte ihn wieder in Deckung zwingen. Doch der Engel ließ sich nicht beirren. Glücklicherweise verpasste Turi auch diese Gelegenheit nicht und versetzte Erzi einen Treffer. Im Helmfunk hörte er die derben Flüche des Engels und wunderte sich über einen Wortschatz, der einer gestandene U-Boot-Mannschaft noch die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Langsam bekam er eine Ahnung, warum der Engel aus dem Himmel verstoßen wurde. Mit solche Flüchen kam man vermutlich nicht einmal in eine Kirche...
Turis Deckungsfeuer gab dem Schlumpf die Gelegenheit, unbehelligt die Leiter zu erreichen und das Dach zu verlassen.
„Ich kann Dir hier nicht mehr helfen, Turi!“, rief er dem Sniper zu. „Kommst Du alleine zurecht?“
„Hell, Yeah!“, meinte der junge Mann, ohne sein Ziel aus den Augen zu lassen.
„Gut, ich verschwinde. Wir sehen uns unten!“
Schnubbel sprang die Leiter in Windeseile herunter und legte das Gewehr zurück in das Regal, dass sich daraufhin automatisch verriegelte. Nächste Runde würde es ihm wieder zur Verfügung stehen.
Schnell fragte er über sein HUD den Teamstatus ab. Mushu und Schaf waren mit Pommie beschäftigt, Noise und Tiger hatten Probleme mit Wulle. Der Schlumpf war angeschlagen, dachte aber nicht daran, einen Rückzieher zu machen. Vielleicht konnte er Wulle von hinten beikommen. Wenn der DJ und die Riesenkatze so lange durchhielten.
Er schulterte seine MP und lief los.
Gleichzeitig mit dem Schrei zeigte ihm sein Helm-HUD, das Tiger ausgefallen war. Noise lebte noch. Die Zeit wurde knapp.
Als Schlumpf war es nicht einfach, schnell zu laufen, doch Schnubbel tat sein bestes.
Keine Sekunde zu früh tauchte er hinter dem Klon auf und schoss auf ihn.
Wie aus einer Ahnung heraus, drehte sich Wulle zeitgleich um, gab einen ungezielten Schuss aus seiner Sniper ab und versuchte, in Deckung zu gehen.
Was für ein verdammter Glückspilz! Fluchte Schnubbel im Geiste. Gerade jetzt dreht der sich um!
Er sah den langen Lauf des Sniper-Gewehrs, das hinter der Säule hervorragte. Ein Schritt aus der Deckung, das wusste der Schlumpf, und ich bin ein blauer Fleck an der Wand. Der Klon gab sich keine Blöße. Aber Noise war noch da und ging langsam in Position. Das war nicht einfach für den DJ, denn Wulle hatte sich so hingestellt, dass Noise automatisch in sein Blickfeld treten musste, wollte er ihn unters Feuer nehmen.
„Noise!“, rief der Schlumpf über das Comlink. „Warte auf mein Zeichen. Dann stürm vor!“.
„Verstanden“, gab der DJ ruhig zurück und hielt sich in Deckung. Ein Segen der modernen Kybernetik. Noise‘ subkutanen Implantate funktionierten einwandfrei und er verstand jedes Wort.
Als Schlumpf hatte er die Eigenschaft, Dinge zu sammeln und aufzubewahren. Im Kampf war das ein Vorteil, weil er nie in die Verlegenheit kam, seine Granate gleich zu beginn zu verschwenden. Er warf sie hinter die Säule und zwang den Klon, weiter in Deckung zu gehen. Jetzt hatte er seinen toten Winkel!
Schnubbel stürmte hervor und gab Sperrfeuer.
Wulle sprang auf der anderen Seite des Pfeilers hervor und zielte mit dem Snipergewehr auf den kleinen Schlumpf.
„Jetzt, Noise!“
Ein Schuss dröhnte und Schnubbel flog unsanft gegen die nächste Wand, als das Sniper ihn traf.
Aber das war egal. Er hatte dem DJ genug Zeit erkauft.
Noise stürmte um die Ecke, der Klon sah ihn zu spät, zog in Panik seine Desert Eagle und feuerte, konnte den Musiker aber nicht mehr stoppen.
Bevor der Schlumpf entgültig in dunkle Ohnmacht fiel, sah er mit erleichterter Zufriedenheit, wie Wulle unter dem Beschuss von Noise zu Boden ging und schließlich liegen blieb.
Ziel erreicht.

„Ein Guter Teamspieler“, meinte JetLi anerkennend. Fulli stimmte ihm zu. „Und seine anderen Fähigkeiten sind auch nicht zu verachten. Er ist ganz schön mutig für einen kleinen Kerl.“
„Gerade die kleinen müssen mutig sein. Die großen lässt man ja in Ruhe.“
„Auch wieder wahr“, antwortete Fulli. „Hast Du was zu bemängeln an dem Schlumpf?“
Zögernd schüttelte der Trainer den Kopf. „Nur so viel: Er redet ein wenig viel, reisst die TeamKontrolle an sich und bestimmt eigenmächtig die Positionen, ganz gleich, was zuvor im Briefing befohlen wurde.“
„Damit zeigt er doch nur seine Motivation und Bereitschaft, dem Team zu dienen.“
„Dagegen sag ich ja auch nichts“, erwiderte JetLi. „Er opfert sich selber für das Team enorm auf. Er hat kein Problem, sich in die Schusslinie zu stellen, um jemand anderem einen Vorteil zu geben. Und er kann improvisieren, wenn die Taktik Lücken aufweist oder durchbrochen wurde.“
„Was ist dann das Problem?“, fragte Fulli.
„Dass er manchmal den Überblick verliert. Also den Gesamtüberblick. Er hält die Situation nur im geringen Maße im Auge und sieht die Folgeentwicklung nicht. Er ist ein guter Taktiker, aber kein Stratege.“
„Aha“, meinte Fulli nur und nickte zustimmend. „Was schlägst Du also vor?“
„Ich will seinen Enthusiasmus nicht beschneiden“, gab der Asiate zu. „Das wäre ein Fehler und würde den Schlumpf nur zurückdrängen. Vielleicht sollte ich ihn zum Teamleiter größerer Einheiten machen, und sie gegen eine Überzahl antreten lassen. Dann ist er gezwungen, umzudenken. Vielleicht lernt er ja so den Weitblick.“
„Oder aber Du schickst ihn ohne Briefing in ein Training. Gegen ein starkes Team.“
JetLi nickte begeistert. „Ist eine gute Idee! Dann muss er selber über eine Strategie nachdenken!“
„Gut. Mach es so. Sonst noch was?“
Der Ausbilder schüttelte den Kopf. „Seine Fähigkeiten sind herausragend. Keine Beanstandungen. Er muss nur ins Team eingespielt werden und gegen seine Insubordination arbeiten. Dann kann man ihn gut und gerne als Teamleiter einsetzten und wird nicht enttäuscht.“
„Was ist mit Noise?“
Der Asiate schüttelte den Kopf. „Na ja, Standard, Gutes Aiming, halbwegs schnell, benötigt aber noch Training. In erster Linie bin ich froh, dass die Implantate funktionieren. Jetzt versteht er über Funk alles und kann die Umgebung hören. Aber zu untrainiert. Wer weiss, ob er für die Liga geeignet ist.
Ich muss abwarten, wie das Training auf ihn wirkt. Ich schleife ihn durch das gleiche Team wie Pommie und Co. Dann geb ich eine neue Bewertung ab.“
„Mach das“, sagte Fulli und legte Noise‘ Akte erstmal zur Seite, entdeckte einen anderen Ordner darunter.
„Wir haben die Kuh vergessen.“
JetLi lächelte verzweifelt und fuhr die Aufnahme wieder ab. „Oh nein, das haben wir nicht. Ich zeig Dir einen Mitschnitt aus einer Runde davor...“

Muhi hatte diesmal auf eine Sniper verzichtet und lief durch den Hintereingang nach unten. Shu saß dort schon zum dritten mal und verhinderte, dass sein Team die Geiseln rettete. Sobald Mushu und das Schaf die Pommie erledigt hatten, waren sie zu angeschlagen, um es auch noch mit Shu aufzunehmen.
Also wollte die Kuh das erledigen. Wie blöde rannte sie die Treppe herunter, stürmte aus dem Seitenausgang und sah den Jail House Rocker, wie er hinter dem Bus saß und auf die SWATS mit den Geiseln wartete.
Muhi mochte verrückt sein, aber er war alles andere als Dumm. Nur eben total durchgeknallt. Ihm war klar, dass Shu ihn jeden Moment entdecken würde. Und er wollte die Initiative nicht verlieren.
Er legte die Waffe neben sich in das Gras, zog Weste und Helm aus und fing an, die grünen Halme zu rupfen und gemütlich auf ihnen herum zu kauen.
Shu ruckte wie erwartet um und entdeckte die Kuh. Verwirrt starrte er zu dem Vieh, dass vor sich hin graste, ihn fragend anschaute und leise muhte.
Langsam schlich er heran. Der Paarhufer machte keine Anstalten, anzugreifen oder wegzulaufen. Es schaute stumpfsinnig aus gleichgültigen Augen und schluckte rülpsend ein Büschel Gras hinunter, rupfte sich einen weiteren Bissen.
Das brachte den Mann aus der Fassung.
„Äh, Rotz? Hier ist eine Kuh...“, sprach er in den Helmfunk.
„Ja und? Wo ist das Problem? Knall sie nieder!“
„Na ja, sie macht nichts. Sie steht nur da und frisst Gras. Sind in diesem Gelände Kühe als Kulisse vorgesehen?“
„Machst Du Witze?“ überschlug sich die fassungslose Stimme des Jail House Rockers. „Nimm Deine Scheisswaffe und rotz' das Biest übern Haufen!“
„Ja, aber sie sieht nicht bedrohlich aus!“
„Sieht sie aus wie Muhi?“
Shu wandte sich um und wollte die Kuh genauer betrachten. Doch sie war schon nicht mehr da. Hinter sich hörte er ein Geräusch, das klang wie ein Messer, das jemand aus der Scheide zog...

JetLi starrte auf den Monitor. Fulli tat es ihm gleich, konnte seinen Augen nicht trauen.
„Spul nochmal zurück, bitte“, sagte der Clanleader und die Szene auf dem Monitor wurde wiederholt.
Die beiden Männer schüttelten den Kopf.
„Das ist der dümmste Trick, den ich je gesehen habe“, flüsterte Fulli.
„Was mich weit mehr bestürzt, ist dass er funktioniert hat.“
„Die J.R.‘s haben zuvor nie gegen Tiere oder andere Wesen gekämpft. Eine harmlose Kuh passte nicht in sein Feindbild und er war wohl irritiert.“
„Das kann unmöglich Dein ernst sein, Fulli!“, sagte der Trainer aufgebracht. „Wir haben ne Kuh im Team, einen Drachen, sogar einen Engel! Er sieht da einen Paarhufer grasen und seine einzige Reaktion ist ein hilfloser Spruch über den Kommkanal? Er hätte schiessen müssen und später fragen! So eine Art der Ablenkung ist bestenfalls eine Farce! Und er hat ihn mit dem Messer erledigt, Fulli. Mit dem Messer!“
Der Clanleader schaute nachdenklich auf den Monitor.
„Vielleicht war diese Aktion von der Kuh gar nicht mal so schlecht“, sinnierte der General. „Sie zeigt uns, dass das Team nicht flexibel ist. So eine Situation dürfte niemandem widerfahren. Erst recht nicht den Jail House Rockern. Im Knast muss man auf alles vorbereitet sein. Ehrlich gesagt, enttäuscht mich das.“
JetLi zuckte mit den Schultern. „Hab’s Dir ja gesagt.“

Turi schüttelte fassungslos den Kopf. Wie Dumm konnte man sein? Da steht ne Kuh und grast und was tun die Noobs? Schauen das Tier ratlos an und lenken ihn über den Kommkanal ab.
Er schaute über den Dachrand, sah eine Kuh mit einem Messer und den Shu, wie er auf dem Boden lag. Solln die doch an ihrer eigenen Dummheit sterben. Er musste sich erstmal um einen Engel kümmern.
Der Scharfschütze machte einen irrwitzigen Sprung auf die Dachkante, visierte Erzi an und gab in schneller Folge zwei Schüsse ab.
Kaum gelandet, sprang er wieder hoch. Ein Schuss fegte Gesteinsbrocken aus der Stelle, wo er einen Lidschlag zuvor noch gestanden hat. Mit schnellen, geduckten Bewegungen lief er zur Leiter und verließ das Dach. Im Comlink hörte er die derben Flüche des Engels, der nicht fassen konnte, ein menschliches Ziel verfehlt zu haben. Die restlichen Meter sprang er nach unten und sah, wie Rotz sich an dem Retinascanner zu schaffen machte.
Das Gesicht tief in die Sensorenpolster gedrückt, nahm er seine Umgebung nicht wahr, hörte aber die schweren Schuhe, die keine fünf Meter von ihm landeten.
Er drehte sich um und schoss, aber Turi war schon nicht mehr da. Zwei Schüsse aus einer Desert Eagle trafen den erschrockenen Jail House Rocker am Hinterkopf und warfen ihn zu Boden, wo er reglos liegen blieb.
Ein Geräusch erregte Turis Aufmerksamkeit und er duckte sich, die Sniper im Anschlag.
Der Drache kam die Treppe hoch und schaute sich um. Kaum winkte der Scharfschütze ihm zu, wurde das Reptil von den Füßen gerissen, als Erzis Sniper ihn traf.
Zeit für eine Revanche, dachte Turinos.
Er nahm eine weitere Granate aus dem Reservoir und warf sie blind in den Gang, hielt sich hinter einer Säule bedeckt.
Der Engel flüchtete in den Gang, löste den Waffendetektor aus und wartete, bis das Ei detonierte.
Dann stürmte er heraus, sein Gewehr in Anschlag und bereit, jeden abzuknallen, der sich ihm zeigte.
Er sah nur eine Klinge direkt in seinem Blickfeld und hörte das Reissen seines Kevlarweste.
Turinos grinste zufrieden über das ganze Gesicht, als der Gefallene laut schimpfend zu Boden ging.
Er hatte nie gehört, wie cholerisch Engel sein konnten. Aber irgendwie gab ihm das hier eine menge Spaß.
Die Runde war beendet, als der Erzengel, letztes Teammitglied der Terror-Seite ausschied.

JetLi breitete die Arme aus. „Dazu kann man nicht viel sagen“, meinte er und zeigte auf den jungen Mann mit dem Messer. „Er macht keine Fehler. Er sucht sich seine Position immer mit Bedacht, gibt sich nie eine Blöße und wechselt den Ort, wenn er entdeckt wurde. Er hat den Erzengel fünfmal in Folge ausgeschaltet.“
Fulli schaute fasziniert auf den Monitor. „Wie er sich bewegt. Enorm schnell und sicher. Ich hätte erwartet, dass seine Rekonvaleszens länger dauern würde.“
Der Trainer nickte. „Ich auch. Das Drachenblut hat wahre Wunder gewirkt.“
„Ja, und das beste ist, es ist von der Administration zugelassen, da es seinen natürlichen Zustand wieder herstellt, ihm aber keine permanenten Vorteile bringt.“
„Vielleicht sollten wir ihn als Co-Trainer einsetzten.“
JetLi schüttelte den Kopf. „Hab ihn schon gefragt. Er hat kein Interesse daran. Er unterrichtet gerne den einen oder anderen privat, aber er will weder Strategien oder Taktiken für die Truppe aufstellen und sie üben. Er meinte, das wäre ein Scheissjob und jeder, der das tut, müsste dumm sein.“
Fulli nickte. „Mich beleidigt er auch oft, auf seine Weise.“
„Hat einen ganz eigenen Charme, der Typ.“
„Hat er?“, fragte der Leader.
„Wie auch immer. Er muss nur mit dem Team trainieren, um eingespielt zu werden. Ansonsten sehe ich nicht, was er verbessern könnte. Das sieht er vermutlich nur er. Und dann kann er das nur selber machen. Ich wüsste nicht, was er noch von mir lernen könnte.“
„Sind wir damit durch?“, fragte Fulli.
JetLi nickte. „Rotz noch. Aber der spielt fast in der gleichen Liga wie Turinos. Mich erstaunt nur, dass er so still ist, wenn er im Kampf ist. Ansonsten kriegt der seinen Mund nicht zu. Aber ich begrüße das. Die beiden sind mit ein, zwei Ausnahmen die einzigen, die ihre Funkdisziplin aufrecht erhalten. Ansonsten ist der Kanal dicht mit dem Gelaber des Teams. Vorhin unterhielten sich die Kuh und das Schaf sogar über verschiedene Grassorten! Während eines Kampfes!“
„Das wird schwer rauszukriegen sein“, befürchtete Fulli. „Oder hast Du schon mal eine Kuh mit einem Headset gesehen?“
„Nein. Und im Moment habe ich auch noch keine Idee, wie man das üben könnte. Aber mir fällt schon was ein.“
Fulli stand auf. „Gut. Leg mir den Plan vor, sobald Du einen hast. Ich werde jetzt die Berichte anfertigen und der Administration schicken“. Er ging zur Tür und öffnete sie, als er sich noch einmal umdrehte.
„Gönne den Rekruten ein wenig Entspannung. Das haben Sie sich verdient.“
„Mache ich“, versicherte JetLi mit einem sadistischen Grinsen. „Spätestens nach den nächsten zwanzig Runden.“


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