Der Drache rieb sich den dünnen Arm und schaute aus müden, leeren Augen zu Dr. Axt. Irgendwie gelang es ihm dennoch, dem Arzt einen finsteren Blick zuzuwerfen.
Wars das jetzt?, fragte Mushu brummig.
Die Wissenschaftler nickten. Die letzte Ampulle. Damit beenden wir Turis Therapie.
Der Sniper saß schon auf dem Untersuchungstisch, angeschlossen an den unzähligen Geräten. Selbst Mushu musste sich eingestehen, dass der junge Mann weit gesünder und vitaler aussah, viel lebendiger. Und das war ja auch was. Einzig ärgerlich war, dass er jetzt viel mehr redete, dabei aber immer noch so patzig und unhöflich war.
Soeben verabreichten ihm die Ärzte die letzte Bluttransfusion, und sahen dabei recht zufrieden aus.
Wenn die Werte so bleiben, bist Du in zwei Tagen wieder völlig in Ordnung.
Hell, Yeah!
Der Drache schaute zu dem Mann rüber. Das scheint Dein Lieblingsspruch zu sein oder?
Der Sniper reagierte nicht.
Mushu rollte mit den Augen. Ich hoffe mein Blut hat Dir geholfen. Fühlst Du Dich denn jetzt besser?
Ein knappes Nicken.
Gern geschehen, seufzte das Reptil enttäuscht.
Wie siehts aus, Doc?, sagte Turi plötzlich. Kann ich heute schon zum Training?
Axt zuckte mit den Schultern. Wüsste nicht, was dagegen spricht. Deine Vitalwerte sind überraschend gut. Ein wenig Bewegung kanns nur besser machen.
Endlich hob der junge Sniper den Kopf und grinste Mushu an. Der Glanz in seinen Augen gefiel dem Drachen überhaupt nicht.
Dann nehm' ich den Gecko da mit, sagte er. Dann wirst Du schon sehen, wie dankbar ich bin?
Die Tür ging auf und das Schaf schlenderte hinein.
Määäh?, sagte es zur Begrüßung und sein Blick fiel auf den Sniper. Ah, Hi Turi. Du siehst viel besser aus.
Turi runzelte die Stirn. Noch ein Noob?
Määäh?, brüskierte das Schaf sich.
Von dem bekomm' ich aber kein Blut, oder?, fuhr der Sniper fort. Ich will kein Noob-Blut. Das versaut nur meinen Skill.
Freut mich auch, Dich zu sehen, erwiderte das Schaf mit vor Sarkasmus triefender Stimme und wandte sich dem Drachen zu. Ist der immer so freundlich?
Mehr denn je, seufzte Mushu. Kaum funktioniert seine Stimme wieder, versprüht er überall seinen Charme.
Delirium räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu gewinnen.
Natürlich bekommst Du kein Blut vom Schaf. Ich habe es hergebeten, weil es...ähm, einige Probleme mit dem Klon-Experiment gab. Das Thema schien dem Genetiker nicht zu behagen.
Schaf schaute alarmiert auf. Was für Probleme? Was schlimmes? Ist irgendwas nicht in Ordnung mit mir?
Axt lachte trocken. Mit Dir ist einiges nicht in Ordnung. Aber das ist nicht das aktuelle Problem. Mein Kollege kann das viel besser erklären.
Sheep wandte sich erwartungsvoll Delirium zu, der verlegen zu Boden schaute.
Also, wir hatten von Dir Wolle genommen, weil die Follikelproduktion der Haarwurzeln bei Dir aufgrund verschiedener Kriegstraumata enorme regenerative Eigenschaften entwickelt hat. Wir dachten, so schneller zu Ergebnissen zu kommen.
Das klingt doch gut, meinte das Schaf ein wenig ruhiger. Wo ist also das Problem.
Nun ja, fuhr der Genetiker fort und räusperte sich. Wir haben diese regenerativen Eigenschaften ziemlich unterschätzt. Und zudem den das humanoide Genom, dass Dir und allen anderen Tieren im Clan anhaftet.
Ich verstehe kein Wort, gestand das Schaf.
Delirium seufzte. Gut, ich erkläre es Dir. Du kannst aufrecht gehen und sprechen. Du kannst Denken..., er wiegte den Kopf. ...Mehr oder weniger. Auf jeden Fall unterscheidet Dich von anderen Tieren ein sogenanntes Humanoides Genom. Kommt häufig vor. Der Grund, warum Muhi und Du so sind wie sie sind. Und viele andere Tiere, die in militärischen Einheiten oder Kriegen gedient haben.
Mushu kann auch sprechen. Und er hat sogar Hände, warf Sheep ein.
Axt winkte ab. Das ist was anderes. Er ist ein Drache. Mystische Wesen lassen sich nicht so einfach klassifizieren. Tatsache ist, dass wir zwar mit dem humanoiden Genom gerechnet haben, aber es nicht in Deiner Wolle erwarteten. Zusammen mit den starken Regenerationskräften sind wir...sagen wir mal, ein wenig über das Ziel hinausgeschossen.
Oh nein!, stöhnte das Schaf. Ihr habt ein ganzes Schaf geklont, nicht wahr? Jetzt wartet hinter der Tür sicher Sheep II und will mich unbedingt Bruder nennen und hat vermutlich eine abgrundtief Böse Ader, die eines Nachts erwacht, wo es mich dann ermordet und meinen Platz einnimmt. Stimmt's?
Alle anwesenden starrten das Schaf stumm an, gingen im Geiste seine Worte durch und kamen anscheinend zum gleichen Ergebnis.
Mushu grinste und legte dem Schaf die Hand auf die Schulter. Sheep, wenn dem so wäre, denkst Du nicht, jeder hier würde diese Lösung begrüßen?
Määh?!, fiepte das Schaf und schaute sich unter den Anwesenden um. In allen Gesichtern sah er ein nur mäßig unterdrücktes Grinsen. Ihr fiesen Säcke, grummelte das Schaf. Warum klont ihr nicht den Drachen da? Der wird bestimmt größer. Und Mushu stecken wir dann in ein Terrarium!
Die Ärzte wurden wieder ernst.
Es stimmt, sagte Delirium. Wir haben ein vollständiges Wesen geklont. Aber irgendwas in Deiner DNA verhindert die Ausbildung von Schafgenen. Dafür hat sich die Menschen-DNA prächtig entwickelt.
Schafs Gesicht schien auseinander zu fallen. Hinter ihm kicherte der Drache. Ihr macht Witze!
Axt schüttelte den Kopf. Bei weitem nicht. Es ist nicht das, was wir erwartet haben. Aber dennoch sind wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Er hat ein eigenes Bewusstsein und erstaunlicherweise komplett ausgebildet. Metabolismus, Motorik und IQ sind äußerst zufriedenstellend. Fulli wurde schon davon unterrichtet und wenn er sich in JetLis Trainingsrunde gut macht, dann steht seiner Aufnahme im Clan nichts entgegen.
Delirium öffnete die Tür hinter ihm.
Ein Teenager im Patientenkittel kam herein und winkte kurz den Anwesenden zu. Er war dünn und recht jung, machte aber ansonsten einen völlig normalen Eindruck.
Abgesehen von seiner Haarpracht. Man konnte den Eindruck gewinnen, seine Kopfbedeckung wurden von einem Afroamerikaner aus den 70ern extra geklont. Dicke, üppige Locken umgaben seinen Kopf in einer dichten Wolke. Vermutlich das einzige, was man mit dem Schaf in Verbindung bringen konnte, abgesehen von der Farbe. Seine Haare waren dunkel.
Hi Sheep, grüßte er das Schaf persönlich, das die Person völlig schockiert anstarrte. Man hat mir gesagt, dass Du der DNA-Spender bist. Mir ist die Bedeutung des ganzen noch nicht ganz klar, aber irgendwie bin ich zufrieden.
Sheep klappte seinen Kiefer zu und sah bestürzt zu den Ärzten.
Das kann nur ein Witz sein!, schimpfte der Paarhufer. Der da kann nie und nimmer ein Produkt meiner Gene sein! Schaut ihn doch mal an!
Axt wiegte den Kopf. Du kannst klonen nicht mit kopieren gleichziehen, Sheep. Das Ausgangsprodukt muss mit der DNA-Quelle nicht viel gemeinsam haben. Es kann ganz andere körperliche Eigenschaften besitzen. Zum Beispiel ist sein IQ-Quotient höher als Deiner und er zeigt auch sonst keine tierischen Eigenschaften.
Du hättest die Docs sehen sollen, spottete Turi amüsiert. Wie froh sie waren, dass er nicht blökte, als er das erste mal den Mund aufmachte.
Du bist wirklich zum schreien, brummte das Schaf mit frustriertem Unterton und zeigte auf den Klon. Wenn er nur einmal Papi zu mir sagt, schläfere ich ihn eigenhändig ein!
Der Klon hob abwehrend die Hand. Keine Sorge, meinte er. Ich fühle mich in keinster Weise mit Dir verbunden. Ich bin froh, dass es mich gibt, aber wie Du siehst, bin ich ein besseres Produkt Deiner Anlagen. Mach Dir nichts draus.
Hinter dem Schaf prustete der Drache los. Dann flüsterte er ihm mit kieksender Stimme ins Ohr: Er hat dafür einiges von Turi, oder?
Ach Du kannst mich mal, grummelte das Schaf und schlenderte zum Ausgang.
Wie heisst er eigentlich?, fragte er die Ärzte, als er die Tür öffnete.
Axti grinste breit über das ganze Gesicht. Wir haben ihn Wulle genannt. Fanden wir passend. Der Name scheint ihm zu gefallen.
Gelächter füllte den Untersuchungsraum, selbst der Klon stimmte mit ein. Sheepie verließ im dumpfen Groll den Raum.
JetLi trat vor den Schreibtisch und salutierte, was bei Fulli jedesmal ein leichtes Stirnrunzeln verursachte. Der Trainer nahm halt alles sehr ernst und zeigte oft pedantische Neigungen in der Einhaltung gewisser Protokolle.
Wie gut kennst Du Dich mit westlichen Religionen aus?, fragte er den Asiaten.
Hm, meinte JetLi. Meinst Du Druiden, den Wicca-Kult, oder den Christlichen Glauben?
Eher den christlichen, antwortete Fulli und legte eine alte, abgegriffene Bibel auf den Tisch. Den Katholischen, um genau zu sein.
Der Trainer schaute auf die Bibel und hob die Augenbrauen. Hast Du ein Glaubensproblem?
Ich nicht, meinte der Clanleader. Aber einige andere. Und das ist gut für uns.
Ich kann Dir nicht ganz folgen, Fulli.
Gut. Aber Du kennst Dich mit den Religionen aus. Du weißt auch, was ein Seraphim ist?
Die Engel zur Rechten Seite Gottes, gab der Trainer zur Antwort. Die Krieger sozusagen. Unter ihnen auch einige der Erzengel.
Dann weißt Du auch bescheid, dass im Himmel nicht alles immer so harmonisch ist, wie man den Schäfchen der Gemeinde weissmachen will.
Eine seltsame Analogie. Aber ja, das weiss ich.
Fulli nickte zufrieden. Derzeit befinden sich Sieben gefallene Engel auf der Erde. Drei davon sind sicher in den Kellergewölben des Vatikans eingesperrt. Ich beneide sie nicht. Andere sind untergetaucht oder führen unbemerkt ein normales Leben.
JetLi seufzte. Fulli, das hatten wir doch schon einmal durchgekaut. Es ist sinnlos, einen Engel aufzusuchen. Wenn sie nicht gefunden werden wollen, dann findet man sie auch nicht. Und selbst wenn, was sollte er bei uns wollen?
Frohe Kunde, JetLi, sagte der Clanleader fröhlich. Ich habe von einem neuen Engel erfahren, der gefallen ist. Und der stammt frisch aus dem Himmel. So einen verwirrten Geist sollte eine neue Aufgabe doch freuen. Hol Dir Redrum und Scorpi her und erkläre ihnen ihre Mission. Er reichte dem Trainer einen Zettel. Hier steht drauf, wo sie den Engel finden.
JetLi nahm das Blatt entgegen und sah den Clanleader verwundert an. Manchmal frage ich mich, wo Du Deine Quellen hast.
Fulli grinste geheimnisvoll, als der Asiate den Raum verließ.
Der Barkeeper wischte in langsamen Bewegungen die Theke ab, achtete dabei sorgsam darauf, der Person vor ihm nicht zu nahe zu kommen. Sie war ihm in allen Aspekten zu unheimlich.
Weisscht Du, ich war mal wer, lallte die Gestalt. In pflichtbewusstem Mitgefühl nickte der Barkeeper verständnisvoll. Solche Gespräche hatte er ständig. Jeden Abend saßen hier verlorene Seelen, verzweifelte Männer, die verbittert und deprimiert waren, über ihre Zukunft und Vergangenheit redeten und dabei immer betrunkener wurden. Manche von ihnen wurden auch aggressiv. Aber jeder Barkeeper, der seinen Namen verdiente, hatte dafür einen Friedensstifter unter dem Thresen. Eine abgesägte Schrotflinte und einen Knüppel mit Nägeln gespickt.
Es war nur äußerst fraglich, ob diese Maßnahmen auch bei der heruntergekommenen Person vor ihm wirksam wären.
Es war nicht die größe von dem Mann. Über eins Achzig, breite Schultern, Jeans und Lederklamotten machten zwar einen latent aggressiven Eindruck, aber der Barkeeper ist schon mit ganz anderen Leuten zurecht gekommen.
Nur trug dieser einen blassen Heiligenschein und Flügel auf dem Rücken. Immer wieder schoss ihm die absurde Frage durch den Kopf, ob dieses Wesen tatsächlich die Lederjacke hinten aufgeschnitten hat und die Flügel hindurch zu zwängen. Es lenkte ihm von der Angst und der Ehrfurcht ab, die er erfand.
Hinten, in seinem Pausenzimmer neben seinem Bett lag eine alte Bibel. Der Barkeeper war in seinem Elternhaus katholisch erzogen worden. Heute nacht, so hatte er sich vorgenommen, würde er das Buch zerreißen und die Toilette hinunterspülen.
Ja escht!, fuhr der Engel nuschelnd fort. Isch war mal einer der gansch groschen!
Er griff nach dem Glas, kippte es sich hinunter und schaute dann mit zugekniffenen Augen auf den Boden. Schind...schind die Gläscher bei Dir imma scho troggn? Schenk gefälligscht nach, Du unwürdiger sch..Schterblischer!
Mit zitterndem Arm goß der Barkeeper den Wodka nach. Er hatte noch nie gesehen, wie sich ein Engel betrank. Aber irgendwie hatte er gehofft, solche Wesen würden mehr vertragen.
Genau dasch scheid ihr!, lallte der Engel laut. Unwürdige Schterblische! Nischt mehr als ein Funkeln in Gottesch Augen in dem unendlischen Uniser...Uviner...Uni...im unendlischen Weltall! Jawoll! Er drehte sich auf seinem Barhocker und machte eine umfassende Geste mit dem Arm, der das Lokal im besonderen und die Welt im allgemeinen einschloss. Neben ihm prustete ein Gast, als die Federn seiner Flügel durch sein Gesicht streiften. Er war ebenfalls angetrunken und ihm fehlten die christlichen Lehren des Barkeepers. Er glaubte nicht an Engel, aber an bekloppte Typen, die Spass an bescheuerten Verkleidungen hatten.
Nimm Deine Fransen aus meiner Fresse, Du Penner!, fuhr ihn der Gast an. Oder ich reiss sie Dir ab, klar?
Mit einer beiläufigen Geste streckte der Engel seine Hand aus und zeigte auf den Gast. Mit einem hellen Schrei verging der Mann in einer aktinischen Flamme. Außer einem kleinen Haufen Asche und seinen Stiefeln blieb nichts weiter übrig.
Der Barkeeper widerstand der Versuchung, sich hinter dem Tresen zu ducken. Stattdessen griff er langsam nach dem Glas des Engels und zog es vorsichtig zu sich heran.
Heyy, wasch willscht Du mitm Wodga?
Ich ich ich denke Du ha-hast für heute genug getrunken.
Isch weisch schelber gansch genau, wannisch genug habe!
grunzte der Engel. Isch bin ein Scherafim, ein Schrtreiter Gottesch! Isch kann schoooviel trinken wie isch will und werde nie beschoffn!
Der Barkeeper hob die Hände neben seine Schultern und machte und nickte eifrig. Sicher. Greif nur zu.
Danke. Er kippte den Wodka herunter und lehnte sich schwer auf die Theke. Seine Schultern zuckten, als er schluchzte.
Weisscht Du, esch...esch ischa nich scho, dasch wir unsch die Mischio...den Dschob auschuchn könn. Da kommt diescher doofe Bosss an und tscheigt auf Dich und schagt: Du bischt der Racheengel. Und Du der Todeschengel. Und Du da, Du da hinten, Du bischt der Engelschbote. Ha!
Fieberhaft überlegte der Barkeeper, wie man einen Engel loswird. Austreibung? Das klappt nur bei Dämonen, oder? Ruft man die Polizei oder den Vatikan an? Vielleicht ein Gebet?
Und da mascht man aaainmal ne Fehler und wird gleisch gefeuert. Gefeuert! Isch! Ha!, tönte der Engel. Weischte wasch esch bedeutet, ein Gefallener schu schein?
Der Barkeeper schüttelte den Kopf. Der Engel griff nach dem Kragen des Mannes und zog ihn näher an sich heran.
Mit dem Gleichmut potentieller Totgeweihter stellte der Barkeeper fest, dass auch Engel üblen Mundgeruch haben können.
Esch ischt scheissse!, keuchte ihm das Wesen mit seinem sauren Atem ins Gesicht. Gott schpricht nich mehr mit Dir, Du darfscht nich mehr fliegn. Und Du verlierscht schoo viele Deiner Kräfte. Nur dasch wisschen nich. Dasch bleibt Dir, damit Du immer weischt, wasch Dir genommn wurde! Wasch scholl ich jetscht mit den Flügeln machen aufm Rücken? Häh? Hascht Du ne Ahnung, wie ätschend dasch mitter Kleidung ischt?
Um ehrlich zu sein, sagte der Barkeeper zitternd, darüber habe ich tatsächlich nachgedacht.
Mit einer fatalen Mischung aus Erleichterung und Entsetzen nahm der Barkeeper wahr, wie sich links und rechts neben dem Engel zwei Männer hinsetzten. Auch sie trugen Lederjacken, allerdings nicht so zerschlissen und sie waren Braun statt mattschwarz. Der Rechte wischte in einer gleichgültigen Geste die Asche von dem Barhocker und nahm Platz. Der Links legte seine Hand auf den Arm des Engels. Mit überraschten Blick wandte der den Kopf.
Hol dem Mann noch einen Drink, sagte Redrum. Und uns beiden das gleiche. Wird die letzte Runde heute.
Der Barkeeper machte sich davon und ließ die Männer alleine.
Isch will aber noch nisch gehn!, sagte der Engel trotzig.
Aber hierbleiben kannst Du auch nicht, erwiderte Scorpi zu seiner rechten. Hast Du Dir schon Gedanken darüber gemacht, was Du jetzt tun willst? Das Leben als unwürdiger Sterblicher ist nicht immer leicht.
Betrübt starrte der Engel auf die Holzmaserung. Isch...isch weisch nich, waschisch jetscht machn scholl.
Wir hätten da ein Angebot. Eines, wo Du wieder kämpfen kannst. Und Du musst nicht mehr blöde Botschaften überbringen.
Ne jetscht, oder?, lächelte der Engel freudig. Ihr schammelt Engel auf und gebt denen Jobschs?
Scorpi und Reddy sahen sich einen Augenblick verständnislos an.
Nein, wir sind von Team Laval. Forsch in Deinem göttlichen Erinnerungsvermögen nach. Du solltest wissen, was das ist.
Der Engel konzentrierte sich und dachte nach, was unter dem Einfluss des Alkohols eine ganze Weile in Anspruch nahm. Als göttliches Wesen wusste er praktisch alles über die Menschen und ihre Leben. Er riss die Augen auf und winkte verächtlich ab. Isch scholl ein Schöldner schein? Könnt ihr vergeschnn! Isch kämpf doch nich Scheite an Scheite mit Schterblischn!
Scorpion beugte sich zurück.
Ist Deine Entscheidung, sagte er gleichgültig. Wir zwingen niemanden.
Aber Du solltest darüber nachdenken, was aus Dir wird, fuhr Redrum fort. Du wirst immer mehr Deiner Engelskräfte verlieren. Menschen zu Asche verbrennen, Wunder vollbringen, Schicksale beeinflussen. Du solltest schon bemerkt haben, wie Deine Macht sich immer mehr verliert. Bald kannst Du nur noch Trompete spielen und in Deinem Gedächtnis herumkramen.
Scorpi nickte. Ziemlich dürftig, oder? Aber Deine Reflexe, Deine Fertigkeiten im Kampf, die bleiben Dir ebenso erhalten.
Und das wird alles sein, was Dir noch bleibt, schloss Redrum ab. Du solltest also ein wenig genauer über unser Angebot nachdenken.
Stumpf starrte der Gefallene vor sich her. Der Barkeeper tauchte nicht mehr mit neuen Getränken auf. Vermutlich war er geflohen.
Erzengel donnerte beide Fäuste auf den Tresen, der protestierend knackte. Ach wasch schollsch Jungsch! Bescher alsch nix, oda? Auscherdem binnisch neugierig auf son Schaf unnen Drachn. Wollnwa losch oda wasch?
Zufrieden standen die beiden Krieger auf und geleiteten den torkelnden Erzengel mit einiger Mühe zum Ausgang.
JetLi grüßte den Sniper, als der mit dem Schaf unterm Arm und dem Drachen in der anderen Hand zum Trainingsplatz schritt.
Mushu versuchte schon die ganze Zeit, Feuer zu spucken, aber die Fähigkeit hatte man ihm vorübergehend genommen. Weil er sich zu sehr darauf verließ, hat man ihm erklärt. Er müsste lernen, sich mehr mit den üblichen Waffen auseinander zu setzen.
Das ist unfair!, zeterte das Schaf. Wieso muss ich mitkommen? Du wolltest doch nur den Drachen trainieren!
Weil Du ein Noob bist, meinte Turi unbeirrt. Und ich kann Noobs nicht ab. Ein Rambo in der Gruppe, der den Einzelkämpfer macht, ist schon schlimm, aber wirklich übel sind die Amateure. Wegen denen gehen ganze Truppen drauf.
Und warum muss ich ausgerechnet gegen Muhi und Wulle antreten?
Weil die können, wozu Du unfähig bist. Du willst doch bei Team Laval bleiben, oder nicht?
Hab hier noch keinen einzigen Rasen gesehen, murrte das Schaf trotzig und versuchte, sich aus dem Arm des Schützen zu winden. Doch Turinos hielt das Schaf fest wie in einer Stahlklammer. Wütend drehte er den Kopf und sah den Drachen an. Kommt seine Kraft von dem Drachenblut?
Kann sein, meinte Mushu stolz. Unser Blut verleiht Menschen viele Eigenschaften. Noch nie die Nibelungen gesehen?
Doch. Der Kerl ging am Ende drauf.
Mushu schaute nachdenklich über den Daumen von Turinos. Dann besteht ja noch Hoffnung.
Der Sniper setzte die beiden Tiere auf dem Trainingsgelände ab und gab jeden von ihnen ein Scharfschützengewehr.
Du zuerst, Sheep, befahl Turi. Zeig, was die Docs Dir geschenkt haben.
Sie haben mir kein Aiming geschenkt, motzte das Schaf und spreizte seine Hufen. Kleine, fingerähnliche Greifer kamen zwischen ihnen zum Vorschein. Ein Produkt moderner Chirurgie und Gentechnik. Das Schaf wusste nicht, was es davon halten sollte, trotz der Vorteile, die es ihm gab. Naja, dachte es sich. Wenigstens nicht mehr den widerlichen Geschmack von Metall und Waffenöl im Maul.
Er griff das Sniper und richtete es aus. Wo soll ich hinzielen?, fragte er den Jungen Mann.
Turi seufzte. Bist Du zu blöd Dir ein Ziel zu suchen oder was? Halt Ausschau nach nem Lockenkopf oder ner Kuh und verpass' ihr einen Kopfschuss!
Sheepie kniete sich hin und suchte über das Zielfernrohr das Gelände ab. Hinter ihm schüttelte Turinos den Kopf. Sitzt da mitten auf dem Platz, wie eine Ente auf dem Teich.
Unvermittelt pflügte ein Schuss den Sand neben dem Schaf auf. Es kreischte, schnappte die Waffe mit dem Maul und hoppelte davon.
Die Hände Du Dummes Nutzvieh!, brüllte Turi. Du sollst Deine verdammten Greifer benutzen! Bist Du blöd oder was?
Alte Gewohnheiten sterben langsam, sinnierte Mushu. Turi sah den Drachen streng an. Du kommst auch gleich dran, mein Freund. Mal sehen, wie Du Dich ohne Flamme anstellst.
Er wandte sich wieder nach vorne und sah resigniert zu, wie das Schaf panisch über das Gelände hoppelte, verzweifelt versucht, dem Scharfschützen auszuweichen, bis es endlich ein Ziel entdeckte.
Wulle stand hinter einer Kiste und hielt Ausschau nach einem geeigneten Ziel, hatte aber das Schaf noch nicht entdeckt.
Schaf beruhigte sich und grinste. Sheep killt Dolly, brummte er und legte an. Wenn mir das nicht meine Tag versüßt.
Durch das Zielfernrohr visierte er den Lockenkopf seines Opfers an. So etwas großes kann man wohl kaum verfehlen, dachte er sich und drückte ab.
Wulle zuckte zusammen, als knapp über ihm ein Schuss in die Wand knallte.
Turi schlug seine Hand vor die Stirn. Hat ne Ewigkeit um zu zielen und dann verfehlt er!
Wulle duckte sich, suchte die Umgebung ab, entdeckte das Schaf, das schwitzend versuchte, sein Gewehr auf das Ziel auszurichten.
Halt Drauf!, brüllte Turi über den Funk. Lass Dir nicht zuviel Zeit! Knall ihn einfach ab!
Ein ungezielter Schuss traf das Schaf und irgendwas klickte in seinem Kopf. Adrenalin schwemmte durch seinen Körper und für einen kurzen Moment hatte er alle Zeit der Welt.
Wieder drückte er ab. Wulle machte eine Rolle rückwärts und blieb liegen.
Jahaaa!, jubelte das Schaf. Was sagst Du jetzt, Du Dummer Klon? Von wegen überlegen! Ich hab Dich erw....
Der Treffer kam unerwartet und schleuderte das Schaf von seiner Brüstung. Fiepend landete es im Staub und blieb benommen liegen. Wulle grinste und sagte leise: Sheep down.
Muhi lud sein Gewehr durch und schritt zu dem Schaf.
Always watch your back, Schafi, grinste die Kuh. Das sagst Du mir jedesmal.
Turi schüttelte den Kopf. Na ja, kommentierte er. Müssen wir den Versuch als Ergebnis nehmen. Jetzt Du, Mushu.
Muhi, Wulle, bringt euch wieder in Stellung!
Der Drache schnappte sich sein Gewehr, schleifte es hinter sich her, klappernd eine Treppe hoch und legte es dann auf den Boden. Dann tappte er zum Zielfernrohr und suchte ein Ziel.
Als er die ahnungslose Kuh ins Visier bekam, schob er am Schaft das Gewehr in die richtige Schusslage, lief dabei immer zwischen Lauf und Zielfernrohr hin und her, um feine Korrekturen vorzunehmen. Als er glaubte, alles richtig eingestellt zu haben, tappte er zu dem Abzug und griff mit beiden Händen danach und zog.
Der Schuss fegte das Gewehr von der Treppe und den verdutzten Drachen gleich mit. Das Projektil teilte die Wolken.
Kannst Du mir erklären, was zum Teufel Du da machst?, brüllte Turi den Drachen von oben an, als der versuchte, sich aus dem Gurt zu befreien, der sich beim Sturz um seinen Körper gewickelt hatte.
Ich wollte snipern, erklärte Mushu unbeirrt.
Indem Du das Gewehr auf den Boden legst und in die richtige Richtung schiebst?, schnappte der Scharfschütze mit überschlagender Stimme. Du bist doch nicht ganz echt!
Das ist eine riesige Waffe!, verteidigte sich das Reptil. „Die kann ich unmöglich halten.
Verarsch mich doch nicht!, blaffte Turi. Du bist ein Drache. Und das einzige mystische an Dir, was ich bis jetzt gesehen habe, sind Deine dummen Ausreden! Benutz Deine Drachenkraft oder verändere Deine Gestalt. Mir egal. Nur knall endlich irgendwas ab.
Hör mal zu, meinte Mushu und stemmte ärgerlich seine Fäuste in die Hüften. Man hat mir in den letzten Wochen haufenweise Blut abgenommen, nur damit Du mich hier anschnauzen kannst! Verwandlungen sind nicht gerade leicht, weißt Du?
Ach, und was wir hier machen ist natürlich ein Kinderspiel? Wenn Du in Zwei Sekunden nicht Deine Gestalt verändert hast, dann werd' ich Dich durch den Parcour jagen!
Die Drohung wirkte. Mushu seufzte, schaute auf seine Hände und konzentrierte sich. Mit einem ächzen metamorphierte er zu einem ausgewachsenen Mann.
Etwas widerwillig betrachtete Sheep das neue Gesicht des Drachen. Nicht gerade eine Verbesserung, murmelte es.
Keuchend stand er vor dem grinsenden Scharfschützen.
Jetzt zufrieden?
Erst, wenn Du was triffst, meinte Turi und zeigte auf die Häuserfront auf der anderen Seite des Geländes. Such Dir ein Ziel und los.
Zwei Runden lang hielt sich der Drache recht gut und erledigte beide Ziele. Doch Muhi und Wulle spielten sich schnell ein und nahmen den Drachen ins Kreuzfeuer.
Ungewohnt in solchen Situationen ohne seine Drachenkräfte zu agieren, war er den Feindlichen Schützen bald unterlegen.
Turi nickte einigermaßen zufrieden. Nicht schlecht für den Anfang. Aber immer noch ne Menge zu tun.
Können wir jetzt gehen?, fragten das Schaf und der Drache unisono.
Turi schüttelte den Kopf. Das war nur mein persönliches Snipertraining. Jetzt ist JetLi dran.
Enttäuscht schauten die beiden zu dem Eingangstor.
Der Rest der Rekruten kam gerade angeschlendert. Mit resigniertem Entsetzen entdeckte das Schaf eine grinsende Pommie unter den Trainees. Zeit für Deine Rasur, Schäfchen!, sagte sie fröhlich.
Und ich dachte, der Tag kann nicht mehr schlimmer werden, stöhnte Sheep.
Als das Training vorbei war, saß Sheep bei JetLi im Büro. Der Ausbilder sah nicht sonderlich glücklich aus und zeigte über einen Monitor die aufgenommenen Übungsverläufe. Insbesondere die vom Schaf.
Du hast Deine eigene Mannschaft öfter abgeknallt als die Gegner. Insbesondere, wenn Pommie in Deinem Team war. Ich gehe doch mal stark davon aus, dass das keine Absicht war, oder?
Bestenfalls ein konditionierter Reflex, murmelte das Schaf. Sie hat doch auch ständig ihr eigenes Team gesprengt. Gib ihr eine Granate, und die Gegenseite hat schon gewonnen!
Mit Pommie beschäftigte ich mich später, wies JetLi die Vorwürfe ab. Im Gegensatz zu Dir zeigt sie Potential und das Training trägt bei ihr schon Früchte. Und das nach nicht mal zwei Wochen. Aber Du...
Der Ausbilder seufzte, schaltete mit der Fernbedienung den Monitor aus und setzte sich kopfschüttelnd hinter seinen Schreibtisch. Dir zuzuschauen ist wie Lottospielen. Mal bekommst Du Deine Panikattacken und erledigst im Alleingang sogar die Profis. Dann wieder läufst Du kreischend durch die Gegend und man muss befürchten, dass Du Dich nicht selber verletzt mit Deiner Waffe.
JetLi breitete hilflos die Arme aus. Du hast keinen Mittelgang. Ich habe noch keinen Moment gesehen, in der Du in einer normalen oder gewöhnlichen Verfassung warst und man Deine Fähigkeiten einschätzen konnte. Und ich habe wenig Lust, Dich ständig anzuschreien, damit Du in Panik fällst und dem Team nützen kannst. Was auch dann noch zweifelhaft ist.
Gib mir Zeit, knurrte das Schaf verdrossen.
JetLi beugte sich vor, weil er den Paarhufer akustisch nicht verstanden hatte. Was?
Ich sagte gib mir Zeit, meinte das Schaf ein wenig Lauter und schaute den Trainer mit resigniertem Fatalismus an. Denkst Du, ich bin mir dessen nicht bewusst? Glaubst Du, die Biberkriege waren für mich sowas wie Ferien? Ich bin nicht wie Muhi und kann meine Angst im Wahnsinn ertränken.
Und ich weiss, dass meine einzige Fähigkeit die Panik ist.
Ich dachte, in solchen Momenten bist Du nicht ganz bei Sinnen, entgegnete JetLi neugierig.
Manche behaupten das von mir die ganze Zeit über, meinte das Schaf sarkastisch und schüttelte den Kopf.
Im Panik-Modus...
Panik Modus?
Ich nenne das so, erklärte das Schaf verlegen. Also, in diesem Modus ist es wie...eine Art Tunnel. Ich will nicht gewinnen oder jemanden abknallen. Mein einziges Ziel ist dann nur, am Ende noch zu stehen. Eigentlich will ich allen Gegnern nur ausweichen und wenn ich keinen antreffe auch gut. Aber das kann man ja kaum verhindern. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und mein Magen rutscht mir in die Kniekehlen...
...von denen Du ja genug hast, kommentierte der Asiate.
Schaf grinste. Dann verstehst Du ja. Aber im gleichen Moment ist alles viel klarer. Ich kann mich besser konzentrieren, ich kann besser zielen und alles scheint langsamer zu sein. Und glaub nur nicht, ich höre euch dann nicht. Ich verstehe alles, was man in solchen Momenten zu mir sagt. Es fällt mir nur schwer, darauf zu reagieren. Meine Urinstinkte überstimmen mich jedesmal. Ich muss nur lernen, diesen Zustand besser zu kontrollieren.
Hilfesuchend blickte das Schaf den Ausbilder an. Geht das?
Weiss ich nicht, meinte JetLi ehrlich. Aber wir können es versuchen. Willst Du das denn? Ich dachte immer, Dir gefällt es hier nicht so gut und Du bleibst nur, weil Muhi Dich überredet hat.
Ach, die MuhKuh ist doch ohne mich aufgeschmissen, erwähnte Sheepie rigoros. Außerdem ist mir aufgefallen, was für ein Personal und welche enormen Ressourcen dieser Clan hat. Mein Panik Problem in den Griff zu bekommen ist für mich in jedem Aspekt wichtig, und nicht nur im Kampf. Ihr bekommt einen Krieger und ich ein wenig Frieden. Ist das ein Deal?
JetLi lächelte und wiegte seinen Kopf. In meinen Ohren klingt das gut. Ich werde noch mit Fulli darüber reden, okay?
Das Schaf nickte dankbar und verließ den Raum.
Hey, was geht?, fragte Muhi ihn, der vor dem Raum auf ihn gewartet hat. "Wurdest Du wenigsten ordentlich zusammengefaltet?
Eigentlich nicht, meinte das Schaf und schlürfte an einer Zigarette herum. Die sind nur immer noch ratlos wegen meinem Panik-Modus.
Die MuhKuh zuckte mit den Schultern. Das ist doch das einzige was Du hast. Wenn man das wegnimmt, bist Du nur ein sprechendes Schaf, das nie den Mund hält.
Das sagt der Richtige!, gab Sheep erzürnt zurück. Ohne Dein BSE bist Du doch nur ein dauergeiler Bulle, der sich mehr für die Bäuerin interessiert als für die Kuh auf der Weide.
Mag sein, meinte Muhi fröhlich. Aber so oder so hätte ich 'ne Menge Spaß.
Das Schaf schüttelte den Kopf. Der unverrückbare Optimismus der Kuh war manchmal schon unheimlich. Aber das machte ihn auch so sympathisch. Nichts und niemand schien ihn unterzukriegen und in seiner Gegenwart konnte man niemals lange betrübt sein.
Er wollte noch etwas fragen, als er plötzlich merkte, wie seine Wolle im Nacken sich aufstellte.
MuhKuh fing leise an zu wimmern. Sheep bemerkte, wie seinem Kumpel die Augen panisch hervortraten und sich sein kurzes Fell ebenfalls aufstellte.
Irgendwas stimmt hier nicht, meinte das Schaf ängstlich und bemerkte, wie seine Stimme vibrierte.
Ja, gab die Kuh zu. Ich fühle mich auf einmal ganz komisch. Hab richtig angst. Besser wir gehen, okay?
Nichts einzuwenden, nickte das Schaf. Aber langsam.
Vorsichtig drehten sich die beiden Paarhufer um und schlenderten den Gang hinunter.
Sie zuckten gleichzeitig zusammen, als sich hinter ihnen am Ende des Flurs der Fahrstuhl mit einem viel zu fröhlichen Pling öffnete. Sie hatten sichtliche Mühe, ihre Fluchtreflexe zu unterdrücken und in normalem Trab weiterzugehen.
Das ist wie bei "Shining", flüsterte die Kuh. Voll unheimlich.
Ja, aber eigentlich gibt es keinen Grund, erwiderte das Schaf ratlos.
Ich weiss. Lass uns trotzdem weitergehen...was ist das für ein Geruch?
Ein starker, betäubender Moschusduft erfüllte den Gang, strich über die aufgeblähten Nüstern der beiden Paarhufer und ließ sie wie angewurzelt stehenbleiben.
Der Geruch weckte alle Ursinne in ihnen. Vor Angst zitternd klammerten sie sich aneinander fest und blökten und muhten leise vor sich her, als sie nach der Quelle des Duftes suchten. Er weckte eine Information in ihren Genen, die so alt war wie die Evolution selber.
Hallo Jungs!, brüllte eine Stimme hinter ihnen. Ich Bin Wieder Zurück!
Auf diese Art begrüßte ein Partylöwe seine Gäste, dachte Muhi und wusste nicht, wie nah er damit an der Wahrheit lag.
Ihre Köpfe ruckten gleichzeitig in die Richtung aus der die Stimme kam. Was sie dort sahen, ließ sie erschrocken aufschreien.
Ein Tiger, riesengroß und mit Schultern so breit wie eine Dampfwalze, eingezwängt in eine enge Motorradmontur stand im Gang. Seine Barthaare zuckten fröhlich, als er grinste und die beiden Rekruten anstarrte. Er ließ seinen Seesack, den er über die Schultern trug, auf den Boden gleiten und schritt mit festem Gang auf die völlig verängstigten Tiere zu.
Ah!, sagte er gutgelaunt. Ihr Müsst Muhi Und Sheep Sein! Fulli Hat Mir Von Euch Berichtet!
werbistdu?, kiekste die Kuh.
Der riesige Jäger drängte sich zwischen die Paarhufer und schlang seine mächtigen Pranken um deren Schultern, drückte sie an sich wie zwei alte Kumpel.
Ha! Nennt Mich Tiger. War Schon Im Clan Hier, Als Ihr Noch Gesäugt Wurdet! Hat Euch Fulli Nichts Von Mir Erzählt?!
Dieses kleine Detail hat er wohl vergessen, würgte Schaf.
Tiger drückte ihm die Luft ab und schien es nicht einmal zu merken.
Macht Ja Nichts!, donnerte der Tiger mit seinem mächtigen Organ. Er sprach so, als wüsste er ganz genau, dass er am obersten Ende der Nahrungskette steht, fiel Sheep auf. Das schlimmer war, dass dieser Typ einem auf Anhieb sympathisch schien. Ich frage mich, ob ich immer noch so empfinde, wenn ich eines morgens in seinem Magen aufwache.
Also Jungs!, knurrte Tiger fröhlich und gab den beiden einen Klapps, der sie einige Meter in den Gang langstolpern ließ.
Ich Mach Mich Erstmal Frisch Und Melde Mich Bei Fulli! Dann Gehn Wir Drei Hübschen Einen Trinken, Klar?
jajanatürlich!, meinte Schaf schnell.
wennesnurbeimtrinkenbleibtokay, stimmte Muhi schnell zu.
Tiger lächelte noch einmal und entblößte eine Reihe von Fangzähnen, deren Anblick es den beiden Paarhufern enorm erschwerte, ihren Blaseninhalt bei sich zu halten.
Als der Tiger in seinem Quartier verschwunden war, setzte sich MuhKuh erstmal hin und versuchte das Zittern in seinen Flanken loszuwerden. Schaf tat es ihm gleich.
Himmel. Einen Tiger, Schafi. Die haben sogar einen Tiger!
Sheep nickte. In der Tat. Drachen, Tiger, Klone. Wer weiss, was noch alles kommt. Fehlen nur noch Dämonen und Engel...
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